Kann man literarisches Schreiben lernen? Immer wieder steht diese Frage im Mittelpunkt der Debatten in den Zeitungfeuilletons und Literatursendungen des Landes. Immer wieder werden dabei dieselben Argumente ausgetauscht. Natürlich: Literarisches Schreiben ist Kunst; also immer auch subjektiver, expressiver Ausdruck, der sich gerade durch seine Individualität auszeichnet. Aber literarische Werke sind auch kulturell determiniert und greifen unweigerlich auf vorhandene Traditionslinien zurück. Macht es da nicht Sinn sich mit diesen Traditionen auseinanderzusetzen? Sich mit dem richtigen Handwerk zu wappnen?
Nora Schmitt jedenfalls bereut ihre Studienwahl nicht. Die 26-Jährige studiert den noch jungen Studiengang „Theorien und Praktiken professionellen Schreibens“ an der Universität zu Köln. Dort geht es neben literaturwissenschaftlichen und berufspraktischen Aspekten genau darum: literarisches Schreiben zu erlernen. „Ob man das wirklich erlernen kann, ist eine schwierige Frage“, findet sie. „Natürlich braucht man ein gewisses Talent und ein ausgeprägtes Gefühlt für Sprache. Sowas kann man einem schwer beibringen. Aber Schreiben ist insofern erlernbar, als dass man sich im Studium immer wieder mit dem eigenen Schreibprozess auseinandersetzt. Und sich durch gegenseitiges Feedback verbessert.“
Seit nunmehr vier Semestern wird der Studiengang angeboten. Am Dienstagabend präsentierten Studierende im Scheuen Reh erstmalig in einer selbstorganisierten Lesung eigene Texte. „Wir haben uns eine Plattform gewünscht, wo wir eigene Texte auch außerhalb der Universität präsentieren und so mit der Öffentlichkeit in Kontakt treten können“, erzählt Lisa James, die ebenfalls den Master studiert und wie Nora Schmitt dem elfköpfigen Organisationsteam von „Fisch & Fuchs“ angehört.
Das Konzept: Alle Studierenden des Studiengangs haben die Chance einen Text einzureichen. Was für Texte das sind, ist erst einmal egal. Daher auch der Name der Reihe: „Wir haben das mit dem Sprichwort ‚Weder Fisch noch Fleisch‘ in Verbindung gebracht und wollten einen Raum schaffen, wo wir Experimentieren und verschiedene Themen und Genres miteinander verknüpfen können“, so Lisa James. Im Anschluss entschied eine Jury über die besten Texte. Insgesamt sechs wurden nun von den Autoren vorgetragen. Dass man das Scheue Reh als Veranstaltungsort anwerben konnte, bezeichnete James als Glücksfall: „Natürlich auch wegen dem Namen: ‚Fisch & Fuchs im Scheuen Reh‘. Das hat doch was.“
Dem Konzept entsprechend erlebten die Zuschauer eine bunte Mixtur aus Genres, Themen, Motiven und Tonlagen. Josephine Güntner etwa erzählte in ihrer Kurzgeschichte von der existenziellen Notlage einer Fehlgeburt. In aufwühlenden Bildern und harten Schnitten evozierte sie eine Poetik des Traumas. Auch Martin Kraus‘ Prosa bewegte sich an den Grenzlinien menschlicher Selbsterfahrung. In assoziativen Sprüngen berichtete dort ein Protagonist von der Auflösung seiner Selbst und vom Verschwimmen der Erinnerung, was sich am Ende auch im Verlust der Sprache manifestierte.
Neben diesen dunklen Themen der Welt- und Selbstwahrnehmung sorgte Mathis Beste für Auflockerung, als er in seiner kleinen Drama-Episode, im klassischen Versmaß gehalten, vom Wettkampf eines Hoch- und eines Tiefdruckgebietes um die Gunst des Wetterfrosches berichtete. Oder aber Kevin Kader, der von einem Nerd erzählte, dessen Meme im Internet für Furore sorgt. Und darüber, wie der Erfolg seinen Macher schon bald zwischen Größenwahn und Selbstzweifel zerreibt.
All das platziert zwischen unverputzten Wänden und dem vibrierenden Tuckern der Züge, die über den Köpfen des Publikums am Bahnhof West haltmachten. Normalerweise wird hier House-Musik gespielt, mit dem Gewölbe ist ein international bekannter Techno-Club benachbart. Literatur, so könnte man meinen, spielt in der Welt des jungen Publikums zwischen Belgischem Viertel und Ehrenfeld keine Rolle mehr. Am Dienstagabend konnte man sich vom Gegenteil überzeugen, wenn man sah, wie das dichtgedrängte Publikum zwischen Verkehrsgewimmel und Bargeschäft den Worten lauschte.
Auch das Moderatorinnen-Duo Lisa Claus und Anna Westkämper zeigte sich nach der Lesung begeistert: „Es waren auch viele Leute dabei, die nicht zum klassischen Literaturpublikum gehören. Genau das wollten wir ja ansprechen. Und mein Eindruck ist, dass es denen sehr gut gefallen hat“, meinte Westkämper. Zumindest eins lässt sich also über den neuen „Schreibstudiengang“ an der Universität sagen: Mit der „Fisch & Fuchs“-Lesereihe könnte sich ein wohltuend bunter Fleck in der Literaturszene der Stadt ausbreiten. Der erste Schritt von der Seminarbank in die Öffentlichkeit ist jedenfalls geglückt.
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