Don Winslow ist ein großartiger Autor. Man schlägt die erste Seite eines seiner Romane auf und will das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Es ist wie eine Sucht. Winslow weiß, wie man diesen Sog erzeugt. Intensität ist der Schlüssel zu seinem Erfolg. Es passiert viel und die Schauplätze in seinen Romanen werden oft gewechselt. Dennoch verzettelt sich Winslow nicht, in jeder Szene konzentriert er sich auf das Wesentliche.
Sein neuer Roman, der den Titel „Vergeltung“ trägt, stellt eine virtuose Demonstration seiner Fähigkeiten dar. Winslow erzählt von Dave Collins, einem amerikanischen Elite-Soldaten, der überall in der Welt gedient hat, in Somalia ebenso wie im Irak. Einer, der weiß, worauf es beim Töten ankommt. Collins hat Familie. Am Morgen weckt er Frau und Sohn, weil die beiden von New York aus einen Flug zu den Schwiegereltern nach Montana nehmen wollen. Das Flugzeug wird bei einem Anschlag zerstört, die Trümmer richten verheerenden Schaden an, als sie über der Stadt niedergehen. Die staatlichen Untersuchungen führen zu keinem Ergebnis. Sie werden auch nur halbherzig verfolgt und Collins stellt bald fest, dass die Regierung gar nicht daran interessiert ist, den Fall aufzuklären. Also nimmt er das Recht selbst in die Hand, stellt eine Truppe getreuer Gefährten zusammen und beginnt aufzuräumen.
Wie einfach das doch für einen Amerikaner ist. Winslow, der in Romanen wie „Frankie Machine“ oder „Tage der Toten“ die Strukturen der Mafia oder des Drogenhandels an der mexikanischen Grenze ebenso komplex wie mitreißend beschrieben hat, war immer ein Autor, der die amerikanische Gesellschaft mit analytischem Blick betrachtete. Auch „Vergeltung“ wird vom atemlosen Tempo der verknappten Sätze durchpulst. Auch hier finden sich Orte und Figuren, die mit wenigen Strichen prägnant gezeichnet sind. Und die physische Aktion des Nahkampfs, des Ringens mit Natur und Feind, ist perfekt choreographiert. Nur die markige Botschaft vom Bürger, der sich mit der Waffe in der Hand für das Unrecht, das ihm widerfahren ist, einfach rächt, bleibt doch ziemlich hinter der Realität unserer Zeit zurück.
Die Helden im Kampfanzug, es gibt sie nur noch in der Fantasiewelt der Computerspiele. So wird auch die Gewalt zu einem beliebigen Element jenes glühenden Hasses, der sich gegen den Terror der muslimischen Fundamentalisten richtet. So überschaubar, wie Don Winslow die Verstrickung zwischen den Welten schildert, ist unsere politische Realität nicht mehr. Dass Winslow auf die unreflektierten Allmachtfantasien einer vordergründigen Selbstjustiz setzt, lässt den neuen Roman wie einen Fehltritt im Werk eines Großmeisters wirken, der die Kriminalliteratur in den letzten Jahren beeinflusst hat wie kein anderer.
Don Winslow: Vergeltung. Deutsch von Conny Lösch. Suhrkamp Verlag, 496 S., 14,99 €
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