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Alexander Estis und Arvis Viguls
Foto: Amer Kashma, InHaus-Media

Lyrische Reise durch Europa

17. September 2019

Eröffnung des Europäischen Literaturfestivals Köln-Kalk – Literatur 09/19

Ab vom Tumult der belebten Kalker Hauptstraße liegt der Ottmar-Pohl-Platz, der gesäumt wird von einer ehemaligen Industriehalle und einer Reihe Häuser mit einer Reihe Bäume. Am Freitag, den 6. September hängen in den Bäumen bunte Dekorationen, darunter stehen improvisierte Stände mit Kölsch, veganem Essen oder aber Büchern, und vor einer kleinen Bühne viele zusammengewürfelte Stühle und gemütliche Sofas.

Der Anlass ist die Eröffnung des ersten Europäischen Literaturfestivals Köln-Kalk, organisiert vom Kölner Verlag Parasitenpresse, der vor allem auf Lyrik spezialisiert ist, der Kölner Literaturzeitschrift KLiteratur, dem Integrationshaus e.V. – zugleich auch Festivalzentrum – und dem Kunts e.V., einem gemeinnützigen Verein zur Förderung von Kunst und Kultur auf der rechten Rheinseite. Man wolle, so Adrian Kasnitz, Leiter der Parasitenpresse, vor dem Hintergrund der Europawahlen gegen den aufkommenden Populismus, Nationalismus und Rassismus agieren und „möglichst viele Stimmen und Länder zusammenzubringen“ – Europa sei ein Ort der vielen Sprachen.

Zu Gast sind acht Dichter*innen aus Russland, Polen, Lettland, Norwegen, Griechenland, Nord-Mazedonien, der Türkei und Ungarn. Das Besondere: Die verschiedenen Sprachen sollten im Mittelpunkt stehen. Zunächst wird das Gedicht in der Originalsprache vorgelesen und danach erst ins Deutsche übersetzt. Laut Kasnitz müsse man nämlich die Sprachen gar nicht unbedingt verstehen, „man kann sich auch von ihrem Klang hinreißen lassen“.


Adrian Kasnitz, Elizaveta Khan, Jonas Linnebank, Philipp-Bo Franke
Foto: Katja Egler

Alle Stühle, Bänke und Sofas sind besetzt, als Kasnitz, Philipp-Bo Franke und Jonas Linnebank von KLiteratur sowie Elizaveta Khan, die Geschäftsführerin des Integrationshauses, den Abend eröffnen. Der Himmel ist klar, der Abend noch mild, der Platz bunt und belebt durch spielende Kinder. Die KLiteratur-Autoren „performen“ einen Text, der auch als Einleitung in dem kleinen, liebevoll gestalteten Festival-Reader zu lesen ist. Er ist eine Hommage an Stimmen und Sprachen, aber sagt auch, dass eine Stimme Resonanz braucht: „Wenn das mit der Resonanz funktioniert, wird Stimme dann auch zu Mitbestimmung.“ Eine Aufforderung zum Zuhören und zum eigenen „resonanzieren“. Das Schlusswort hat Elizaveta Khan: „Wir unterrichten zwar auch Deutsch, aber das Schöne am Inhaus ist, dass wir jeden Tag 20 bis 30 Sprachen hören.“

Am Eröffnungsabend lesen alle Autoren ein ausgewählte Werke vor, die am folgenden Tag in drei längeren Lesungen ausführlich vorgestellt werden sollen. Den Anfang macht Lidija Dimkovska, die 1971 in Nordmazedonien geboren wurde und jetzt als Autorin und Übersetzerin in Ljubljana in Slowenien lebt. Ihr Gedichtband „Anständiges Mädchen“ (Edition Korrespondenzen) wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet und dieses Jahr erschien in der Parasitenpresse ihr Band „Schwarz auf Weiß“.

„It is nice to read in this place because this place is full of freedom. And we all need freedom“, merkt Dimkovska an, bevor sie ihr erstes Gedicht auf Mazedonisch liest. Hört man Wut aus ihrer Betonung oder liegt das an der eher hart klingenden Sprache? Was mag das Thema sein? Bei der Übersetzung läuft einem ein kalter Schauer den Rücken hinunter, wenn man versteht, dass es um ein Dienstmädchen ging, das bei der Wannsee-Konferenz Adolf Eichmann Kaffee servierte und dies versucht zu verarbeiten.

Alexander Estis, Jahrgang 1986, stellt eine „Art Wörterbuch“ vor, das verschiedene russische Begriffe wie Wodka oder Borschtsch erklärt und dabei mit Stereotypen spielt. Auf Dimkovskas ernsten Stil folgt mit Estis ein eher lockerer und unbeschwerter Ton. Danach wird es mit Danae Sioziou märchenhaft und verspielt. Sie wuchs in Karlsruhe und im griechischen Karditsa auf und erhielt für ihren ersten Gedichtband „Nützliche Kinderspiele“ (Antigones 2016, Parasitenpresse 2019) den griechischen Staatspreis für junge Autoren.

Nach einer Pause beginnt der zweite Block mit dem 1985 geborenen Norweger Audun Mortensen, der Lyrik und Prosa schreibt und dessen Buch „Hatte Kurt Cobain eine E-Mail-Adresse?“ (Parasitenpresse) vor kurzem erschienen ist. Seine Gedichte nehmen Popkultur und Social Media auseinander und hinterfragen dabei Gewohnheiten und Mechanismen. Sein sehr trockener Humor ist absurd und gleichzeitig unterhaltsam.

Von Norwegen geht es in die Türkei mit Nurduran Duman, die ein Studium in Schiffbau und Schiffstechnik absolvierte – vielleicht enthalten deswegen viele ihrer Gedichte Natur- und Wassermotive. Die Polin Izabela Morska, geboren 1961, wurde als eine der wichtigsten, polnischen Autorinnen letztes Jahr mit dem Julian-Tuwim-Preis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Außerdem ist sie Dozentin für Anglistik in Danzig und das merkt man auch ihren Gedichten an. Sie zieht Vergleiche zu anderen literarischen Werken und, ganz die Dozentin, interpretiert sie vorweg auch manchmal ihre Werke.

Lidija Dimkovska, Foto: Amer Kashma, InHaus-Media

Mittlerweile wird der Abend später und kälter. Decken und Kerzen sorgen für Gemütlichkeit und so dunkel der Platz mittlerweile ist, so dunkel und tief war auch die Stimme von Arvis Viguls. Seine lettischen Gedichte beschreiben Alltagssituationen – manchmal humorvoll, manchmal traurig, aber immer mit einer melancholischen Note. Die Stimmung wird durch die letzte Dichterin dann nochmal stark verändert: Kinga Tóth unterstützt ihre Lesung durch eine Video- und Soundinstallation, verzerrt zudem ihre eigene Stimme. Die abendliche Atmosphäre wird aufgewühlt. Durch die Performance bekommt die im Halbdunkeln liegende Industriehalle schon fast einen gruseligen Anblick. Tóth zufolge sei die Performance wie eine ungarische Party – ein Vergleich, nachdem man nicht so genau weiß, ob man so eine Party überhaupt besuchen will.

Nach zwei Stunden ist der Eröffnungsabend vorbei – ein vielfältiger und eindrucksvoller Abend, bei dem in jedem Detail die liebevolle Mühe erkennbar ist, die die Organisatoren in das Festival gesteckt haben.

Katja Egler

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