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Hejo Emons
Foto: Britta Schmitz

Die ganze Welt ist Provinz

27. April 2017

Der Kölner Verleger Hejo Emons – Kulturporträt 05/17

Vor 35 Jahren startete eine der größten Erfolgsgeschichten der deutschen Verlagslandschaft. „Tödlicher Klüngel“ hieß der erste Köln-Krimi des Emons Verlags, Autor war Christoph Gottwald. Das Konzept, Kriminalromane nicht in einem urbanen Niemandsland zu verorten, sondern sie bewusst mit den Aromen der Provinz auszustatten, traf den Nerv der Zeit. Nicht nur Verlagshäuser zogen nach, auch das Fernsehen setzt massiv auf Regionalbezug. Inzwischen gibt es eine Deutschlandkarte, auf der fast jede Provinz mit Autoren vertreten ist.

Auf die Frage, ob er nun in Flensburg oder Oberstdorf mehr Krimis verkauft, antwortet Hejo Emons mit dem Hinweis, dass München, Frankfurt und Berlin nicht so laufen, wie sie könnten. Woran liegt das? In den Großstädten gibt es ein umfangreiches kulturelles Angebot, auf dem Lande sieht das anders aus. „Dort haben die Menschen den Eindruck, dass diese Literatur sie etwas angeht. Wenn ein Autor aus ihrer Region eine Lesung gibt, kommt das einem kulturellen Ereignis gleich. Das Schöne an den regionalen Krimis ist, dass sie auch von jenem Publikum gelesen werden, das nicht jeden Tag ein Buch kauft“, erklärt der 67-jährige Verleger. Und wer einmal Feuer gefangen hat, interessiert sich möglicherweise bald auch für die internationalen Klassiker. Vintage Crime nennt sich diese Sparte bei Emons und mit Larry Beinharts ebenso spannendem wie atmosphärisch dichtem New York-Roman „No one rides for free“ wurde sie gleich prominent gezündet.

„Es gibt Verlage, die machen erst Programm und schauen dann, wie sie die Käufer dazu finden. Wir machen es umgekehrt“, sagt Emons. Deutschland war ihm deshalb bald zu klein. Da Hejo Emons seit vielen Jahren mit einem Bein in Italien lebt, ist ihm nicht die Begeisterung der Einheimischen für Deutsche Kriminalgeschichten entgangen. Während früher „Derrick“ und „Der Alte“ die Italiener vor die Fernsehschirme lockte, ist es jetzt die Literatur der Teutonen. Kriminalromane von den Besten ihrer Zunft, wie Simone Buchholz, Friedrich Ani oder Andreas Pflüger, lässt er übersetzen, um sie unter dem Label Emons Italia zu präsentieren. Wobei die italienische Kritik sich besonders von der Deutschen Eigenart begeistert zeigt, Kriminalgeschichten nicht in das enge Korsett des Genres zu pressen, sondern über Gewalt als Phänomen der menschlichen Psyche so zu schreiben, wie über jedes andere menschliche Sujet. Kriminalität wird damit zum Gegenstand der Belletristik. Die Auswertung der Romane als Hörbücher, hat das Label emons audiolibri dann prompt zum Marktführer unter den ansässigen Hörbuchverlagen aufsteigen lassen.

Spannungsliteratur ist jedoch nicht das einzige Zugpferd des Verlags. Hejo Emons, für den Köln vielleicht der Nabel der Welt ist, der aber sehr wohl weiß, dass es da draußen noch etwas anderes als die Domspitzen gibt, bietet mit den „111 Orten“, die man in einer Stadt besucht haben sollte, eine originelle Reihe für Reiseliteratur. In Liverpool – ja, Liverpool – hat sich die dortige Ausgabe alleine 16.000 Mal verkauft. In Kalifornien und Florida führt der Emons Verlag die Verkaufslisten von Amazon an.

Deutschland ist anders gestrickt, „hier ist der Markt unglaublich lebendig, hier werden die schönsten Bücher gemacht und es entstehen auch ständig neue Verlage. Das ist toll und nur möglich, weil wir eine Buchpreisbindung haben“, meint Emons. Auch wenn alle Verlage mit der Tatsache zu kämpfen haben, dass die Verkaufsstellen weniger werden und die Branchenriesen schon in die Supermärkte drängen, stellt Köln, „eine Stadt die noch wunderbare Buchhandlungen besitzt“, eine Ausnahme dar. Hier wanderte der Verlag vom idyllischen Souterrain der Lütticher Straße hinüber ins Auktionshaus Lempertz, durch dessen große Fenster man auf den Neumarkt blickt. Visuelle Reize lassen Hejo Emons mitunter schwach werden, so dass er sich auch einmal erlaubt eines jener Bücher zu machen, „das einen bis ins Hätzekühlche berührt“, wie er gesteht.

Dort drinnen, tief in den Herzkammern, muss wohl auch der Fotoband „Koks und Cola“ geboren worden sein, der das Ruhrgebiet der fünfziger Jahren zeigt. Dem folgte bald „Maloche und Minirock“ mit den Bildern des damals noch ziemlich wohlhabenden Reviers während der sechziger Jahren. Überbordende Formate wurden zur Spezialität des Verlags. Mit „Köln wie es war“ präsentierte man nicht nur eine kaum bekannte Seite im Werk des Gottvaters der Deutschen Fotografie – August Sander. Sondern der Band lädt auch dazu ein, sich in die einstmals so schöne Rheinmetropole zu verlieben. Dass Liebe aber nicht blind machen muss, zeigt Werner Jungs wuchtiges Kompendium „Bilder einer Stadt im Nationalsozialismus – Köln 1933-1945“. Ein Band, der unmissverständlich zeigt, wie die Kölner Familien mit jüdischen Wurzeln von allen Seiten angefeindet und ausgegrenzt wurden.

Hejo Emons hat der historischen Erforschung der nationalsozialistischen Ära einen zunehmend größeren Raum in seinem Verlagsprogramm eingeräumt. Als Sensation innerhalb der Europäischen Verlagslandschaft konnte dann vor einigen Monaten der großformatige Band über die „Todesfabrik Auschwitz“ präsentiert werden. Über viele Jahre hinweg hatte der Technische Zeichner Peter Siebers die Baupläne des Vernichtungslagers rekonstruiert. Ein Buch wurde aus dem karthografischen Material jedoch erst durch die präzisen Texte des Historikers Gideon Greif. Kaum jemand hat das Leben in Auschwitz über Jahrzehnte hinweg so eingehend erforscht, wie der israelische Wissenschaftler. Folgt man seinen Erläuterungen, setzt sich Seite um Seite ein ungewöhnlich konkretes Bild vom Leben und der Organisation des Lagers zusammen, wie es in dieser Form bisher einmalig ist.

Neben den wichtigen Titel sollen die fotografischen Preziosen im Verlag nicht zu kurz kommen. So wird Hejo Emons aufgrund seiner Begeisterung für die Fotografie möglicherweise auch jenem überraschend aufgetauchten Konvolut mit unveröffentlichten Aufnahmen von Marilyn Monroe eine Chance geben, dessen Realisierung kostspielig zu werden droht, ihn aber mächtig reizt, wie er im Gespräch schmunzelnd gesteht. 

Thomas Linden

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