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Oliver Minck
Foto: Sibylle Mall

„An jeder Gießkanne zu spielen, greift nicht mehr“

05. April 2019

Sänger und Songwriter Oliver Minck über den Wandel des Live-Geschäfts – Interview 04/19

choices: Oliver, sämtliche deiner musikalischen Projekte haben einen unverwechselbaren, einzigartigen Charakter. Sie öffnen eine eigene Welt, die einerseits so betörend wirkt wie ein Märchenland und andererseits Jäger durch die Wälder schickt, die dort Einhörner erschießen. Es ist magisch und brutal ehrlich zugleich. Zart in Ästhetik und Gesang. Grimmig in den Pointen. Unnachgiebig wie das Leben.
Oliver Minck: Es ging mir eigentlich immer nur darum, Musik und Texte zu machen, die ich so in dieser Form woanders noch nicht gehört habe. Ob mir das gelingt, müssen andere beurteilen. Die genaue Analyse der eigenen Arbeit ist für einen Künstler schwierig. Deine Einschätzung gibt mir Hoffnung, mich nicht ganz so falsch zu sehen. Was du beschreibst, ist in der Tat mein zentraler, künstlerischer Antrieb.

Auf ihre Weise waren Bands wie Blumfeld oder Tocotronic vergleichbar konsequent in ihrem künstlerischen Gegenentwurf zum Gewohnten. Im Gegensatz zu Wolke oder Die Sonne sind sie allerdings auch kommerziell sehr erfolgreich geworden. Waren deine Projekte einen Hauch zu spät dran oder woran mag das liegen?
Das ist durchaus möglich. Die Hamburger Schule hat in den 90ern ein schmales Zeitfenster geöffnet, in dem mehr Menschen für solche Wege offen waren. Diese breite Anerkennung ist bei meiner Arbeit ausgeblieben, doch ist mir das eben angesprochene ganz Eigensinnige darin so wichtig, dass ich diesen Weg dennoch stur weiter verfolge.

Im Vergleich zur Hamburger Schule erscheint mir dein Weg britischer. Der böse Humor, die Melancholie, die süße Verbitterung.
Mit 16 habe ich ein Jahr lang in London gelebt und bin dort auch zur Schule gegangen, da meine Mutter damals dort ein zweites Mal geheiratet hat. Obschon ich als Teenager froh war, danach wieder in Deutschland zu sein, hat mich dieses Jahr sicherlich popkulturell geprägt. Der Britpop und späte Wave, die Gitarrenbands der damaligen Zeit, teils vergessene wie die Stone Roses.

Ist Köln heute dein London?
Ich stamme vom Bodensee und bin nach Abitur und Zivildienst damals hergezogen, weil Köln die eine Großstadt in Deutschland war, die ich schon kannte. Ich kam mit ein paar Freunden her, die eine frühe Band bildeten und wir erlagen damals dem Irrglauben, Köln sei die Stadt, in der wir als Musiker groß herauskommen könnten. Das erfüllte sich nicht, denn die Szene, in der Köln Mitte der 90er ganz vorne mitspielte, war Minimal Electro. Mit Gitarrenpop waren wir vollkommen fehl am Platze. Mir war schnell klar: Eigentlich muss ich auch ganz schnell nach Hamburg oder Berlin, aber was soll ich sagen? Ich bin bis heute geblieben.

Ist die Stadt besser geworden?
Sie ist vielfältiger geworden und offener als früher, wo sie vor allem die Stadt der Popkomm oder die Stadt von Viva war. Ein Tempel des Mainstreams, in dem mehr konsumiert als produziert wurde. Heute ist stilistisch und kulturell alles möglich.

Man kann sich heute in Zeiten des Internets und der Allgegenwart aller Musik aus allen Regionen und Ländern nicht mehr vorstellen, dass es früher wirklich so dermaßen relevant gewesen sein soll, wo man als Musiker gelebt hat.
War es aber. Bestimmte Stile, Szenen und Strömungen ließen sich bestimmten Gegenden zuordnen, bis hinein in diffizilste Nischen. Ich kann mich noch erinnern: Es gab sogar mal den „Ostwestfalen-Noiserock“ mit Bands wie Sharon Stoned. Spielte man einen völlig anderen Stiefel als den, für den ein gewisses Gebiet stand, vermochte man sich quasi nicht durchzusetzen.

Gibt es unter den ganz neuen Nischen etwas, das dich anmacht? Bleibst du offen, zumindest von Berufswegen? Du bist zwar hauptberuflich Übersetzer, aber nebenher auch Kulturjournalist.
Es gibt musikalische Strömungen, die können stellenweise vollkommen enervierend, in ihrer ästhetischen Konsequenz dann aber auch wieder großartig sein. Dieser junge, österreichische Rapper namens Yung Hurn gehört zum Beispiel in diese Kategorie. Er macht Cloud Rap, im weitesten Sinne, und er schnappt sich dieses im Pop und 08/15-Rap derzeit zu Tode genudelte und von mir verhasste Mittel des Autotunes und pervertiert es so, dass es zur Freude wird. Solche Strömungen bringen frischen Wind in eine eingefahrene Szene. Was im Hiphop sonst so passiert ist in seiner ewigen Wiederholung ja nicht zu fassen. Bis vor kurzem habe ich sogar fleißig verfolgt, was heutzutage in Charts los ist, doch das habe ich drangegeben. Ich bleibe dennoch offen für alles. Ein Verhalten, das jenseits der 40 für die meisten Menschen befremdlich ist. Die meisten möchten lieber den musikalischen Wertekanon ihrer Jugend zementieren.

Brechen gigantische Datenbanken wie Spotify das auf oder sind sie digitale Zementmischer?
Theoretisch könnten sie es aufbrechen. Praktisch sind sie Zementmischer, da ihre Algorithmen einen als Nutzer ja immer nur mit neuer Musik konfrontieren, die ganz eng an dem Geschmack dessen segelt, was man sowieso schon eingegeben hat.

Was hat sich für Bands im gehobenen Indie-Bereich verändert? In der Clublandschaft und im Live-Geschäft?
Die Clublandschaft ist weitestgehend gleich geblieben, mit zahllosen Häusern, die es schon immer gab und womöglich immer geben wird. Auffällig ist, dass es viel mehr Angebot gibt. Jeder Musiker, der halbwegs davon leben will, muss permanent live spielen. Das erzeugt einen Ansturm spielwilliger Bands, für die es nicht mal mehr genug Bühnenkapazitäten gibt. Die Konkurrenz ist viel zu riesig geworden. Der alte Mythos, sich ein Publikum aufzubauen, indem man ein paar Jahre lang an jeder Gießkanne spielt, greift nicht mehr. Heute müssen sich die jungen Künstler ihr Publikum systematisch im Netz erobern.

Gibt es etwas, das dich speziell am deutschen Musikmarkt oder Publikum am meisten stört?
Die strengen Kategorien und Trennlinien. Entweder man spielt sehr gefällig und sehr platt und wirft mit Phrasen und Kalendersprüchen um sich wie die aktuellen deutschen Pop-Poeten, oder man ist vollkommen intellektuell verkopft und verkrampft, rein diskursiv abseits aller Intuition und Gefühle.

Die Briten können das vereinen. Kopf und Bauch. Gefälligkeit und Subversion. Humor und Ernst.
Das ist in der Tat ihre Stärke. Ich finde es halt am Schönsten, wenn alle diese Elemente gleichzeitig zusammenkommen.

Aktuelle Band: www.diesonne.org

Interview: Oliver Uschmann

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