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Andrea Fraser, May I Help You?, 21.4.2013 im Museum Ludwig © A. Fraser
Foto: Rheinisches Bildarchiv

Kritik am System

01. Juni 2013

Das Museum Ludwig zeigt das Werk von Andrea Fraser – Kunst in Köln 06/13

Andrea Fraser kommt gleich zur Sache. In ihrer Ausstellung im Untergeschoss des Museum Ludwig ist sie allgegenwärtig, mit ihrer Vita und mit Archivmaterial, Katalogen, auf Fotos und sowieso auf den Monitoren. Zu sehen und zu hören ist sie als meist einziger Akteur ihrer Video- und Audioinstallationen wie auch der Video-Dokumentationen ihrer öffentlichen Performances, aufgeführt über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten. Präsentiert wird diese Werkschau in einem Parcours aus hellen und verdunkelten (Kino-) Räumen, der lebhaft, ja unterhaltsam, gar humorvoll ist, aber dem Betrachter einiges an Aufmerksamkeit und vielleicht auch Offenheit abverlangt. Auch wenn es immer Andrea Fraser ist – und von einer Verkleidung nicht die Rede sein kann – so ändern sich doch mit jeder Arbeit Mimik und Gestik, der Ton des Vortrags und die Kleidung: Andrea Fraser ist oft vornehm gestylt, dem Anlass, um den es geht, entsprechend.

Rituale der Überflussgesellschaft
Ihre Performances, in denen sie mitunter das Publikum als Rednerin anspricht, zelebrieren Rituale der Überflussgesellschaft zwischen Notwendigkeit und Luxus. Sie handeln von der Kommerzialisierung der Kunst und des Künstlers, von der Abhängigkeit der Kulturschaffenden vom Verkauf und damit der Anlehnung an die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme, die in den Kunstwerken selbst doch kritisiert werden, und von gewinnorientierten Besitzern der Kunst, die auf Wertsteigerung setzen. Von der Fragwürdigkeit von Kunstpreisen und den Gesetzen, nach denen sie vergeben werden, überhaupt: warum der eine Künstler Erfolg hat und der andere nicht. Andrea Fraser rekonstruiert den Kreislauf der Kunst, sucht nach den eigentlichen Hintergründen ihrer Entstehung, danach, ob sie überhaupt zu erwerben ist, wo sie ansetzt, und welche psychologischen Impulse ihr zugrunde liegen, und sie beleuchtet damit – zumal in neueren Arbeiten – eine Gesellschaft, die immer fragiler wird. Noch im Reflex auf die Banken- und Wirtschaftskrisen hat Andrea Fraser seit einigen Jahren den Radius ihrer Themen erweitert und greift nun stärker in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge ein. Mit jeder neuen Performance wechselt Andrea Fraser in eine andere Rolle, sie ist Künstlerin und Laudatorin, Patientin und Psychiaterin – und das sogar innerhalb einer Arbeit – , Verkäuferin und Kundin, wobei sie ihre Monologe und ihr Auftreten präzise einstudiert hat. Alles was sie vorträgt, ist auch, ursprünglich formuliert von Fachleuten oder den Betroffenen, gesagt worden und wird nun von Andrea Fraser zu einem Vortrag montiert. Der Trick aber ist gerade, dass sie selbst damit auftritt und dadurch eine Künstlichkeit erzeugt, alles Gesagte, Proklamierte auf den Prüfstand stellt. Andrea Fraser inszeniert Rhetorik, etwa wenn sie bestimmte Erwartungen (z. B. wie eine Dankesrede zu einer Preisverleihung „funktioniert“) überbetont oder unterläuft, was auf recht lustige Weise die Balance zwischen glaubwürdig und theatralisch hält. Nebenbei wird das Kunstpublikum selbst zum Beteiligten: Es reagiert, als wäre die Situation real. Natürlich geht es immer auch um soziale Codices, um Verhaltensmuster und übernommene Stereotypen.

Inszenierte Rhetorik
Anlässlich der Eröffnung ihrer Ausstellung in Köln hat Andrea Fraser selbst eine frühe Arbeit wieder aufgeführt, „May I Help You?“ (1991), bei der sie in der Rolle einer Galeriemitarbeiterin Phrasen und Statements der verschiedenen Akteure im Kunstbetrieb zu einem 20minütigen Monolog vor den gerahmten monochromen schwarzen Bildern von Allan McCollum verknüpfte, mit dem sie einem verblüfften Besucher die Kunst erklärte und zugleich die Grenzen des Jargons entlarvte. Im Grunde ist diese Performance – die auch weiterhin im Museum Ludwig, aber von Schauspielern aufgeführt wird – auch ein Theaterstück, mitten in der Sammlung des Museums.

Mit 48 Jahren gilt die in New York lebende Andrea Fraser schon als herausragende Persönlichkeit für die kritische, kontextorientierte Kunst, mit dem vorrangigen Medium der Performance. Fraser selbst spricht in Vorträgen und Interviews von der Institutionskritik als Gegenstand und Arbeitsweise, mit der sie die Verflechtungen und Funktionsweisen im Kunstbetrieb freilegen will. Selbst schont sie sich dabei nicht, hat vielmehr mit Grenzüberschreitungen provoziert. Etwa indem sie während einer Rede ihre Kleider auszog, oder indem sie als Kunstwerk ein Video anfertigte, das zeigt, wie der Sammler, der das Kunstwerk für teures Geld kauft, dazu mit ihr die Nacht verbringt – das ist der Inhalt des einstündigen Videos – , wobei die Vorführung dann wiederum bestimmten Regeln unterliegt, die noch die Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit ausloten und die Vielschichtigkeit dieser Arbeit weiter steigern.

Die Ausstellung in Köln hat übrigens einen konkreten Hintergrund: Andrea Fraser ist diesjährige Preisträgern des Wolfgang-Hahn-Preises, mit dem bevorzugt Künstler ausgezeichnet werden, die hoch arriviert sind, aber ganz eigene Positionen im Kunstgeschehen einnehmen, etwa Franz West, Pipilotti Rist, Rosemarie Trockel, Richard Artschwager oder, zuletzt, John Miller. Das Kritische, nicht so einfach zu Fassende hat bei diesem Preis, der seit 1994 vergeben wird, also eine Tradition – trotzdem: Dass jetzt mit Andrea Fraser eine Künstlerin geehrt wird, die den Kunstbetrieb so kompromisslos in Frage stellt, ist eine schöne Sache.

„Andrea Fraser – Wolfgang-Hahn-Preis“ I bis 21.Juli I Museum Ludwig, Köln I www.museum-ludwig.de

Am 21. Juni um 19 Uhr führt Andrea Fraser die Performance „Men on the Line“ auf.

THOMAS HIRSCH

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