„Schwabbel, Schwabbel, Schwabbel“ so tönt es unbarmherzig Tag um Tag in Konstantins Schule. Irgendwann ist beschlossene Sache, dass alle ihn eklig finden und sich die Ablehnung in Hass verwandelt. Keiner weiß warum, einfach weil Konstantin mehr Pfunde auf den Rippen mit sich herumschleppt als die anderen. Auch Kevin hat sich stets an der Verhöhnung seines Mitschülers beteiligt. Dabei hat er Konstantin einmal beobachtet, als dieser auf den Dachfirst stand und Selbstgespräche führte. „Fatboy“, das Jugendstück von Anja Schöne und Andreas Gruchalski, das jetzt im Horizont Theater Uraufführung feierte, bewegt sich immer wieder an der Kante zwischen Verzweiflung und Versöhnung.
Steven Reinert spielt Konstantin, den Sohn des Pfarrers, eines Gutmenschen, der über dem Polieren seines Seelenheils den eigenen Sohn aus dem Blick verliert. Den familiären Hintergrund der beiden Protagonisten malen Schöne und Gruchalski in den breiten Konturen griffiger Klischees. So darf Henning Jung als Kevin („Kein Name, sondern eine Sammelbezeichnung!“) von der Gleichgültigkeit seines alkoholisierten Hartz IV-Erzeugers erzählen. Eindrucksvoll ist die von Anja Schöne inszenierte Produktion immer dort, wo Kevin und Konstantin miteinander in den Clinch gehen. Henning Jung liefert die unaufhörlich schaukelnden Bewegungen der Rapper und gestattet Konstantin keine selbstmitleidigen Klagen über das Schicksal der Dicken. Steven Reinert stehen schon zu Beginn die Schweißperlen auf der Stirn. Kein Zweifel: Sich als fettleibiger Mensch durch den Alltag zu kämpfen, ist anstrengend. Da bleibt nur der Ausweg in die Träume vom galaktischen Superhelden, um dem Elend der Realität zu entfliehen. Steven Reiner imponiert mit einem lässigen Fatalismus, der ihn auf intelligente Weise über die Vorurteile der Umwelt erhebt. Gut, dass Anja Schöne den Konflikt zwischen Kevin und Konstantin nicht durch voreilige Harmoniebestrebungen erstickt.
Kevin braucht Konstantin, weil der ihm ein Alibi verschaffen kann, nachdem man ihn unschuldig einer Dieberei bezichtigt hat. Aber wenn er das Alibi annimmt, kommt heraus, dass er seine Freizeit mit dem dicken Alien der Schule verbracht hat. Der Text spitzt den Konflikt raffiniert zu, freilich ohne ihn dann dramaturgisch auszuspielen. Dennoch gehört „Fatboy“ zu den interessantesten Jugendstücken der letzten Zeit in Köln. Die beiden jungen Schauspieler geben alles und ihre Dialoggefechte bleiben originell bis zum Schlussbild. Das ist knackiges Theater und kein Betroffenheitsdrama.
„Fatboy“ | R: Anja Schöne | Horizont Theater | 0221 13 16 04
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Graues Anti-Plantschen
Mutige Außenseiter: Kindertheaterstück „Das hässliche Entlein“ im Horizont Theater – Bühne 12/18
Begehbare Jukebox
Freies Theater im Oktober – Prolog 09/15
Liebe in Zeiten der Not
„36 Stunden“ im Horizont Theater – Theater am Rhein 05/15
Lektion mit Schweinerüssel
Anja Schöne zeigt treffsicheres Polittheater – Bühne 07/14
Kluges Mädchen, spröder Ritter
Gelungenes Jugendstück im Horizont Theater – Theater am Rhein 11/11
Vom Fremd-Sein
„Ein Zulu in Köln“ im Horizont-Theater - Theater am Rhein 04/11
Zeit des Werdens
„Mädchenschrift“ am Comedia – Theater am Rhein 05/24
Für die Verständigung
Stück für Gehörlose am CT – Theater am Rhein 03/24
Im Höchsttempo
„Nora oder Ein Puppenhaus“ in Bonn – Theater am Rhein 03/24
Musik als Familienkitt
„Haus/Doma/Familie“ am OT – Theater am Rhein 03/24
Wo ist Ich?
„Fleischmaschine“ am FWT – Theater am Rhein 02/24
Falle der Manipulation
„Das politische Theater“ am OT – Theater am Rhein 02/24
Wiederholungsschleife
„Soko Tatort“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 02/24
Radikaler Protest
„Ein Mensch ist keine Fackel“ in der Orangerie – Theater am Rhein 01/24
Emotionale Abivalenz
„Sohn meines Vaters“ in Köln – Theater am Rhein 01/24
Übung in Demokratie
„Fulldemo.cracy“ am Studio Trafique – Theater am Rhein 01/24
Welt ohne Männer
„Bum Bum Bang“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 12/23
Was ist hinter der Tür?
„Die Wellen der Nacht …“ in der Orangerie – Theater am Rhein 12/23
Weiter mit der Show
„Von Käfern und Menschen“ am TiB – Theater am Rhein 11/23
Ende der Zivilisation
„Eigentum“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 11/23
Menschliche Abgründe
„Mister Paradise“ am FWT – Theater am Rhein 11/23
Waffe Mensch
nö Theater in der Stadthalle Köln – Theater am Rhein 10/23
Trauma und Identität
„Mein Vater war König David“ in Köln – Theater am Rhein 10/23
Komik der Apokalypse
„Die Matrix“ im Theater der Keller – Theater am Rhein 10/23
Rechtfertigung auf Skiern
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Theater am Rhein 08/23