Angriff ist nicht immer die beste Verteidigung. Die Mieterin im volantbesetzten Fummel (Markus Bachmann für die erkrankte Dana Cebulla) beschwert sich bei der Vermieterin (Anna Euling) über Kakerlaken und gerät plötzlich wegen ausstehender Miete und Prostitution in die Defensive. Und der finanziell klamme Autor (Sven Gey), der ihr zur Seite springen will, hat auch keine guten Karten. Der Einakter „Madame Melissengeist“ ist ein typisches Tennessee Williams-Stück: Zwei Loser, die in verschlissenen Träumen von Reichtum und Ruhm festhängen, deren Realität aber aus Alkohol und Selbsttäuschung besteht.
Neben dem Auftaktstück hat Grathgar die Dramen „Zum Abriss freigegeben“, „Die Frau des fetten Mannes“ sowie das dem Abend den Titel gebende „Mister Paradise“ ausgewählt. Der Abend variiert geschickt die Konstellationen, lässt mal vor, mal hinter einem dünnen Schleier spielen, rückt damit das Geschehen mal näher, mal in die Ferne. Dem Duo Anna Euling und Sven Gey gelingt es mit Emphase, die seelischen Verwerfungen der Figuren sichtbar zu machen. Dabei manövrieren sie sich im Eifersuchtsdrama um den „fetten Mann“ fast in die Nähe von Edward Albees „Virginia Woolf“. Gleichzeitig treiben sie aus den Figuren die nicht gelebten Sehnsüchte sowie den bitteren Verzicht hervor, unterschlagen dabei aber auch nicht Selbstmitleid und Egomanie der Opfer. Ob das die Ehefrau ist, die auf eine Affäre mit einem jungen Mann verzichtet; oder der alternde Lyriker Anthony Paradise, den eine junge Studentin „wiederentdecken“ möchte und der mit großer Geste abwinkt. Ein feiner Abend über psychologische Abgründe.
Mister Paradise | R: Julie Grothgar | 8., 9.11. | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
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