Eigentlich wollte das Rose-Theegarten-Ensemble Louis-Ferdinand Célines Jahrhundert-Roman „Eine Reise in die Nacht“ dramatisieren. Diesen monströsen Splatter-Roman von 1932, der vom Krieg über die Religion, die Ideologien bis zur Moral alles kräftig durchschüttelt. Doch weil die Rechte schließlich doch nicht zu haben waren, haben sich Regisseur Guido Rademachers und die Rose Theegärtner ein eigenes Stück gestrickt und dabei einen grandiosen Wurf gelandet. Ein lautes Einatmen eröffnet den Abend, ein Ausatmen beendet ihn.
Dazwischen kein Plot, sondern nur Bild- und Gedankensplitter, in denen sich die Auflösung der politischen und moralischen Ordnungen widerspiegelt, wie sie Célines Held Bardamu im 1. Weltkrieg, in Afrika, als Arbeiter bei Ford und als Armenarzt erlebt. Die Schauspieler erzählen im Publikum kleine Erlebnisse vom Warten, die nach dem Ennui der Vorkriegszeit klingen. Purcells berühmter Frost-Song aus der Oper „King Arthur“, Schüsse und eingespieltes Lachen ertönen, Claudia Holzapfel als Prostituierte rasiert sich die Beine, Bettina Muckenhaupt exekutiert mit Charles Ripley ein paar Dialogfetzen aus Ibsens „Nora“ und schießt ihren Partner nieder, der wiederum liefert eine absurde Hypochondriestudie.
Man erkennt Büchner und Beckett, zwei Komiker beschwören das Theater der Vergangenheit. Und über allem wacht Thomas Wenzel als blasierter Defätist im Smoking mit Siegelring und aufgemaltem Menjoubärtchen. Mit sonorer Süffisanz und leicht halliger Stimme plaudert er vom Anfangen, von hübschen Frauen, von Krieg und Krankheit. Der Abend nutzt die Romanvorlage allenfalls als Anregung; er lebt nicht vom Was, sondern vom Wie der Darstellung, also von der Atmosphäre.
Fast jede Szene evoziert den Eindruck latenter Gewalt als Basis der Gesellschaft, als allgegenwärtiges Hintergrundrauschen sozialer Zusammenhänge, das die Protagonisten lächelnd überspielen. So werden Célines Furor und Aggression auch Verhaltenslehren der Kälte samt einer absurden Komik an die Seite gestellt, die verblüffend viel über das vergangene Jahrhundert erzählen. Hinzu kommt: Lange nicht mehr hat man das Rose-Theegarten-Ensemble so brillant gesehen. Jede Geste, jede Mimik, jede Haltung sitzt. Freie Szene in Hochform.
„Am Ende der Nacht“ | R: Guido Rademachers | 9., 10.5. 20 Uhr | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
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