Im nicht enden wollenden Zeitalter untergehender Menschlichkeit braucht es neben der Ratio Mut zu baren Emotionen, denn das inflationär formulierte politische Bekenntnis zur Beschreitung neuer Wege verliert sich oftmals am parteieigenen Gartentor. Vielleicht obliegt es lediglich den Künsten, die gesellschaftlichen Schluchten mit einer universalen Gefühlssprache zu überbrücken. Eine Bündelung der Potenziale könnte dafür eine Quelle für Humanismus bieten. Doch dies braucht Raum für Innovationen. Als Fazit der Corona-Jahre, des aufflammenden Rechtsextremismus, der Klimakrise, von Kriegen – kurzum, dem Elend einer brennenden Welt – wagt das Freie Werkstatt Theater (FWT) die Ausrichtung auf bisher unbespieltes Terrain.
Die bisherige Doppelspitze um Gerhard Seidel und Guido Rademachers wird künftig um Co-Leiter Jascha Sommer sowie Programmkuratorin Dandan Liu erweitert. Seidel konzentriert sich auf den Posten des Geschäftsführers. Für die Spielzeit 2024/2025 strebt das Team die Symbiose multipler Perspektiven auf Themen an, die in Form von Festivals ihre Realisierung erfahren sollen. So werde das jeweilige Sujet nicht auf die Bühnenperformance beschränkt, sondern als Stückentwicklung mittels öffentlicher Diskussionsveranstaltung, Audio-Walks, Installationen oder Vernetzung mit anderen Einrichtungen vervielfacht, erklärt Rademachers das Konzept.
Die Veränderungen innerhalb der freien Theater-Szene seien unumgänglich, betont sein Kollege Gerhard Seidel. Doch auch das Förderwesen müsse neu gedacht werden: „Wir haben nicht mehr die Finanzmöglichkeiten, um gut ausgebildete Menschen zu bezahlen. Das ist ein bundesweites Problem. Uns fehlen 140.000 bis 160.000 Euro pro Jahr, um die Leute am FWT tarifgetreu zu entlohnen. Wir trocknen personell aus, doch mit den jungen Menschen steht und fällt die ganze Szene“, warnt Seidel, der von den politischen Entscheidungsträger:innen mittelfristig eine Abkehr von der „Schrumpfpolitik“ zugunsten substantieller Unterstützungen fordert. Der Appell offenbart die Risse im Spiegel, der die Gesellschaft reflektieren soll. Kunst braucht Zuwendung, sonst verliert sie an Sichtbarkeit. Ihre Positionierung als visionäre fünfte Gewalt neben Legislative, Exekutive, Judikative und Presse erscheint utopisch. Doch genau das ist ihr Wesen.
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