360
Großbritannien, Österreich, Frankreich, Brasilien 2011, Laufzeit: 110 Min., FSK 12
Regie: Fernando Meirelles
Darsteller: Anthony Hopkins, Rachel Weisz, Jude Law, Ben Foster, Moritz Bleibtreu, Jamel Debbouze, Marianne Jean-Baptiste, Dinara Drukarova
>> www.360-derfilm.de/
Hintergründiges Beziehungsdrama
Globaler Liebesreigen
„360“ von Fernando Meirelles
Die Erzählung beginnt und schließt in Wien, eine Reminiszenz an Arthur Schnitzler, dessen berühmter „Reigen“ dem Drehbuchschreiber Peter Morgan („Die Queen“, „Frost/Nixon“) als Inspiration diente. Ähnlich dem damals skandalösen Fin de Siècle-Stück tritt auch hier eine Vielzahl an Protagonisten auf, deren amouröse Verstrickungen schließlich ein netzwerkartiges Gesellschaftsportrait ergeben. Hier ist es zu Beginn der britische Geschäftsmann Michael Daly (Jude Law), der in einer tiefen Ehekrise steckt und kurz davorsteht, seine Frau Rose (Rachel Weisz) mit einem slowakischen Callgirl zu betrügen. Doch die Verabredung in der Hotellobby wird auf unerwartete Weise von seinem deutschen Kollegen (Moritz Bleibtreu) gestört. Emotional aufgewühlt ruft Daly, der sich entschlossen hat, nun doch nicht fremdzugehen, zu Hause an, nicht ahnend, dass Rose hingegen tatsächlich schon länger eine intensive Affäre mit dem brasilianischen Fotografen Rui (Juliano Cazarré) pflegt. Dessen Freundin Laura (Maria Flor), die einst mit ihm zusammen nach England immigrierte, ist sich über das Verhältnis sehr wohl im Klaren. Enttäuscht macht sie sich auf die Reise in die Heimat. Im Flugzeug trifft sie auf den charmanten Witwer John (Anthony Hopkins), dessen Tochter verschwunden ist. Er muss sich auf den Weg machen, eine Leiche zu identifizieren. Ein Schneesturm zwingt die Passagiere, in Denver zu landen, doch an Bord ist auch ein frisch aus der Haft entlassener Sexualstraftäter, mit dem Laura ins Gespräch kommt.
Dem Prinzip des Domino-Effekts folgend, zieht Fernando Meirelles („City of God“, „Der ewige Gärtner“) die Handlungsstränge noch über Paris und Rio, Bratislava und Phoenix, bevor sie in unerwarteter Weise in Wien zusammenlaufen. Dabei ist ihm zusammen mit Autor Morgan ein interessanter Kommentar auf zeitgenössische Beziehungsprobleme und menschliche Schwächen gelungen. Die komplexe Struktur, die er dabei gewählt hat, ist mehr als nur ein Episodenfilm, sondern steht in einer Reihe mit Globalisierungsdramen wie „Babel“, „Syriana“ oder auch dem ausgezeichneten „L.A. Crash“ und stellt einen weiteren Versuch dar, ein für das 21. Jahrhundert so bezeichnendes Lebensgefühl auf den Punkt zu bringen: Räumliche und zeitliche Grenzen sind zunehmend unklarer geworden, globale Finanztransaktionen lassen nationale Gefüge einstürzen, durch technische Neuentwicklungen sind wir in der Lage, früher undenkbare Relationen einzugehen. Stellenweise verliert sich Meirelles ein wenig in der Vielzahl an Geschichten, die gelegentlich nicht komplett ausgeführt werden, da sich, durch interessante Split-Screen-Konstruktionen, bereits der Übergang zum nächsten Schicksal ankündigt. Dennoch ist „360“ ein bewegendes und schauspielerisch beeindruckendes Mosaik, das Fernando Meirelles‘ Ausnahmetalent ein weiteres Mal unter Beweis stellt.
(Silvia Bahl)
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