Ach du armer Goethe. Dein Faust, über drei Stunden Spielzeit, ziselierte Sprache, er hat Probleme über Probleme. Wir können doch nix dafür, dass du nie erfahren hast, was die Welt im Innersten zusammenhält. Selbst heute sucht man verzweifelt den Beweis eines Higgs-Teilchens, aber ob das wirklich dein Problem gelöst hätte? Jedenfalls versucht Hausregisseurin Alice Buddeberg am Theater Bonn zum Kern des Pudels Faust vorzudringen. Ohne den Geheimrat damit allzu sehr zu belasten. Schauspieler Glenn Goltz ist eher ein fluffiger Faust, dessen jugendliche Maske selten zur Sprache passt, dessen Zwangsmodernität der Interpretations-Idee aber auch nicht im Wege steht. Ein White Cube ist sein Studierzimmer, moderne Kunst seine Berufung. Eine Meisterschaft ist da nicht zu erkennen, also greift er zum finalen Drogenpülleken, woraufhin die Teufel ihren Auftritt in seiner schwankenden Welt bekommen und ihn erst einmal aufhalten.„So come up to the lab and see what's on the slab. I see you shiver with anticipation.“ Dr. Frank-N-Furters Szene aus Rocky-Horror kommt mir an diesem Abend mehrfach in den Sinn, vielleicht auch, weil einer der drei Teufel irgendwie an Riff-Raff erinnert.Buddeberg hat den Mephisto gedrittelt, das ist zwar auch nicht neu, aber immer wieder wirkungsvoll, vielleicht auch, um mit ihnen schneller durch manche der gestrichenen Szenen hasten zu können. Denn es geht offensichtlich nur um Faust und Grete, um Faust und die Teufel und so viel sei schon verraten, um ein alternatives Ende, bei dem Mephisto 3.0 menschlicher werden muss als ihm lieb ist.
Die Kernaussage bei Buddeberg kommt allerdings von Heinrich von Kleist. Dessen Abschiedssatz: „Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war“, schwebt für Faust über der Inszenierung wie ein Damoklesschwert, da hilft auch kein wildes Farbgespritze, keine Leinwandzertrümmerung mehr. Irgendwie sind alle mal nackig, mal äffisch, mal zeitgemäß geil, was durchgehend bleibt, ist die Ödnis der Szenerie im offenen schwarzen Bühnenraum, wo auch mal mit Kreide geschrieben und der flotte Dreier zelebriert wird. Klaro, Faust unterzeichnet den Kontrakt, Faust wird wieder jung, Faust geht auf die Reise in die Welt. Grete (Mareike Hein) taucht auf, der Eros leuchtet. Grete schwanger. Pause.
Alles leuchtet orange-türkis. Die Welt so schön, doch Faust ist schon wieder im verfluchten Hier. 14 Ballonköppe bevölkern die Bühne, unzählige fallen von der Decke. Ein Idyll ist das nicht, er macht sich davon, verrät die Geliebte, der nur noch der Weg in den Wahnsinn bleibt. Mareike Hein zelebriert den Kindsmord expressiv, vielleicht ein wenig lang, doch diese Szene ist wenigstens intensiv. Jetzt ekelts selbst die drei Mephistopheles, Faust wird zum teuflischen Misanthropen. Der Menschheit ganzer Schauder häuft sich über ihn. Er greift wieder zum finalen Drogenpülleken, und diesmal klappt das Gebräu wohl auch. Noch mal Kleist, nochmal gibt es nichts zu hoffen. Das letzte Wort hat Grete: „Heinrich, mir graut vor dir.“ Ein konsequentes Ende, dass irgendwie eine Stunde zu spät kam.
„Faust I“ | Mi 6.5., Sa 9.5., Fr 22.5. 19.30 Uhr, So 17.5. 18 Uhr, So 31.5. 16 Uhr | Kammerspiele Bonn | 0228 77 80 22
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Da klappert keine Mühle mehr
Martin Nimz inszeniert „Kabale und Liebe“ in Bonn – Theater am Rhein 12/15
Schöpfung ohne Schöpfer
Max Fischs Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 05/24
Zeit des Werdens
„Mädchenschrift“ am Comedia – Theater am Rhein 05/24
Für die Verständigung
Stück für Gehörlose am CT – Theater am Rhein 03/24
Im Höchsttempo
„Nora oder Ein Puppenhaus“ in Bonn – Theater am Rhein 03/24
Musik als Familienkitt
„Haus/Doma/Familie“ am OT – Theater am Rhein 03/24
Wo ist Ich?
„Fleischmaschine“ am FWT – Theater am Rhein 02/24
Falle der Manipulation
„Das politische Theater“ am OT – Theater am Rhein 02/24
Wiederholungsschleife
„Soko Tatort“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 02/24
Radikaler Protest
„Ein Mensch ist keine Fackel“ in der Orangerie – Theater am Rhein 01/24
Emotionale Abivalenz
„Sohn meines Vaters“ in Köln – Theater am Rhein 01/24
Übung in Demokratie
„Fulldemo.cracy“ am Studio Trafique – Theater am Rhein 01/24
Welt ohne Männer
„Bum Bum Bang“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 12/23
Was ist hinter der Tür?
„Die Wellen der Nacht …“ in der Orangerie – Theater am Rhein 12/23
Weiter mit der Show
„Von Käfern und Menschen“ am TiB – Theater am Rhein 11/23
Ende der Zivilisation
„Eigentum“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 11/23
Menschliche Abgründe
„Mister Paradise“ am FWT – Theater am Rhein 11/23
Waffe Mensch
nö Theater in der Stadthalle Köln – Theater am Rhein 10/23
Trauma und Identität
„Mein Vater war König David“ in Köln – Theater am Rhein 10/23
Komik der Apokalypse
„Die Matrix“ im Theater der Keller – Theater am Rhein 10/23
Rechtfertigung auf Skiern
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Theater am Rhein 08/23
Das digitale Paradies
Ensemble 2030 im Theater der Keller – Theater am Rhein 07/23
Metaebene der Clowns
„Clowns“ in der Studiobühne – Theater am Rhein 07/23
Identitäre Spiegelungen
„Der blinde Fleck“ in der Orangerie – Theater am Rhein 06/23
Frauen und Krieg
„Die Troerinnen“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 06/23