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Vom Menschen in Krisenzeiten

26. Oktober 2017

Eine Auswahl der Käthe-Kollwitz-Preisträger im Museum am Neumarkt – kunst & gut 11/17

Die Ausstellungen des Käthe Kollwitz Museums zum 150. Geburtstag seiner „Hausherrin“ überzeugen. Nachdem Käthe Kollwitz mit Präsentationen ihrer Selbstporträts und ihrer rebellischen sozialkritischen Zyklen geehrt wurde, folgte mit der Vorstellung des von Gustav Seitz am Prenzlauer Berg geschaffenen Kollwitz-Denkmals die Perspektive eines Bildhauer-Kollegen. Und nun, zum Abschluss des Jahres, beziehen gleich einundzwanzig Künstler Stellung. Initiiert von der Leiterin des Museums Hannelore Fischer, handelt es sich um eine Auswahl der Träger des Käthe-Kollwitz-Preises. Dieser wird von der Akademie der Künste in Berlin zur Erinnerung an die Namensgeberin jährlich verliehen. Käthe Kollwitz wurde 1919 als erste Frau überhaupt in die Preußische Akademie der Künste gewählt, musste sie aber 1933 nach Unterzeichnung des „Dringlichen Appell“ gemeinsam mit Heinrich Mann wieder verlassen.

Den Käthe-Kollwitz-Preis gibt es seit 1960; er wurde zunächst von der Akademie im Ostteil von Berlin vergeben und ist heute nicht nur eine gesamtdeutsche, sondern eine internationale Auszeichnung. Seit 1992 finanziert die Kreissparkasse Köln als Trägerin des Kölner Museums die Auszeichnung mit. Die Jury wechselt; die Liste der Preisträger liefert keinen Rückschluss, ob der Preis für ein Lebenswerk oder eine aktuelle Wertschätzung im Kunstgeschehen, für zurückgezogene oder omnipräsente Künstler vorgesehen ist – sie enthält alle Positionen. Die Preisträger decken ein weites Spektrum an Ausdrucksformen und künstlerischen Medien ab: All das vermittelt nun die Kölner Ausstellung. Zugleich liegt der Akzent auf Beiträgen mit einer unmittelbar ablesbaren engagierten Haltung, wie sie Käthe Kollwitz selbst kennzeichnet.

Verbindendes Thema ist der Mensch, meist gegeben in Krisensituationen. Diese kann der Künstler am eigenen Leib erfahren haben wie Willi Sitte mit dem Massaker von Lidice oder wie Mona Hatoum im Bürgerkrieg im Libanon. Die Werke gehen oft unter die Haut, Verletzung und Beschädigung ist angesprochen, Sterben wird geschildert. Wieland Försters Bronzen zeigen den „Kopf der Gelähmten“ und den „Erschossenen 1968 (21. August 1968)“. Mona Hatoums Film enthält eine Performance, bei der sie, umfangen von Eingeweiden und blutgetränkten Binden, in einer Art Leichensack auf einem Tisch liegt. In der wie eine Höhlenzeichnung anmutenden Malerei von Horst Münch prallen flüchtende Figuren auf eine Gestalt mit einem Schlagstock. Miriam Cahns Flüchtlinge, die ohne sich umzuwenden in die Bildtiefe eilen, verlieren ihre Konturen, werden zu Schemen. Und das Gemälde von Martin Kippenberger, das sich auf Géricaults „Floß der Medusa“ bezieht, fokussiert eine liegende Person unter einem Laken.

Ein weiterer Aspekt der Ausstellung ist das Antlitz, genommen vom Selbstporträt, das noch nach der Stellung des Einzelnen in der Gesellschaft fragt. Das verbindet den ersten Kollwitz-Preisträger und die aktuell Ausgezeichnete. Otto Nagel, der Weggefährte und Mitstreiter der Kollwitz, hat sich im klassischen Medium Malerei im Atelier, neben sich eine leere Leinwand auf der Staffelei, festgehalten. Katharina Sieverding wiederum arbeitet experimentell mit Fotografie bei der monumentalen, frontalen Ausschließlichkeit ihr Gesichtes: Ihre vier ausgestellten Bilder beruhen auf Bearbeitungen der Negative von Automaten-Passfotos. Plötzlich ist das Gesicht androgyn, der Blick entgleitet und legt umso mehr die Fragilität des Lebens frei. Die Serie „Maton Solarisation“, die 1969 entstanden ist, liefert vielleicht schon Hinweise auf das heutige große Engagement von Katharina Sieverding. Die berühmte Düsseldorfer Künstlerin thematisiert in ihren aktuellen, zuletzt in der Bundeskunsthalle Bonn gezeigten fotografischen Serien die Fluchtursachen und das Entsetzliche der Flucht. Sie wendet sich gegen Fremdenfeindlichkeit und engagiert sich für Obdachlose. Den Käthe-Kollwitz-Preis hat sie mehr als verdient. Aber die Ausstellung im Kollwitz Museum ist überhaupt ein Beleg dafür, wie wichtig die Kunst in der Gesellschaft ist und wie konkret sie auf diese einzugehen vermag.

Kollwitz neu denken – Käthe-Kollwitz-Preisträger der Akademie der Künste, Berlin | bis 10.12. | Käthe Kollwitz Museum | 0221 227 28 99

THOMAS HIRSCH

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