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Bild: Archiv

Surrealer Somnambulist

23. Juli 2013

Zum 30. Todestag von Luis Buñuel – Portrait 07/13

Schon kurz nachdem Ilja Ehrenburg zu Beginn der 1930er seine „Chronik des Films“ veröffentlichte, avancierte deren deutscher Titel Traumfabrik hierzulande zu einem populären Synonym für die amerikanische Filmindustrie. Der surrealen Faszination von Träumen kam indes kaum ein Hollywoodregisseur so nahe wie der Spanier Luis Buñuel. Vom „Andalusischen Hund" (1928) bis zum „Obskuren Objekt der Begierde" (1977) zieht sich eine Schwäche fürs Bizarre, ein Faible für das Abseitige durch sein Schaffen. Auf die Frage, wie er sein restliches Leben gestalten wollte, hätte er noch exakt 20 Jahre zu leben, antwortete er: „Mir würden pro Tag zwei Stunden aktiver Beschäftigung genügen. Die restlichen 22 würde ich lieber in Träumen verbringen – an die ich mich hoffentlich anschließend erinnern kann.“ Buñuel, der am 28. Juli 1983 verstarb, bleibt 30 Jahre nach seinem Tod unbestritten einer der großen Filmkünstler des 20. Jahrhunderts.

Frühe Höhepunkte seiner Karriere bilden die Werke, die der junge Buñuel in Zusammenarbeit mit Salvador Dali schuf: „Der Andalusische Hund“, einer der berühmtesten Kurzfilme aller Zeiten, bei dessen bekanntestem Bild – ein Rasiermesser, welches in Nahaufnahme das Auge einer jungen Frau durchtrennt – noch heute jedes Publikum kollektiv zusammenschreckt, sowie „Das goldene Zeitalter", einem nur unwesentlich minder verstörenden Spielfilm, dessen erste (und für lange Zeit letzte) Aufführung 1930 öffentliche Aufstände nach sich zog.

Buñuels größte Klassiker entstanden jedoch erst im Herbst seiner Karriere, nachdem sich seine inszenatorische Arbeit in den 1940ern und 1950ern größtenteils auf im mexikanischen Exil produzierte Auftragsarbeiten beschränkte: Unter der Mitarbeit von Drehbuchautor Jean-Claude Carrière drehte der damals bereits über 65-jährige nicht nur Klassiker wie Belle de Jour (1967), Der diskrete Charme der Bourgeoisie (1972) und „Das Obskure Objekt der Begierde" (1977), sondern auch nicht weniger faszinierende Kultfilme wie „Die Milchstraße“ (1969) und „Das Gespenst der Freiheit (1974).

Buñuel wird gemeinhin gern als Surrealist bezeichnet. Wer in seinen Filmen jedoch die markante Bildsprache des abstrakten Surrealismus erwartet, wird sich bis auf wenige Ausnahmen enttäuscht sehen. Wo die zusammen mit Dalí geschaffenen Frühwerke noch von grotesken Alptraumszenarien wimmeln (die eingeklemmte Hand, aus der Ameisen krabbeln, die Geistlichen, die innerhalb weniger Sekunden zu Skeletten mutieren), zeichnen sich die klassischen Spätwerke optisch vielmehr durch eine trügerische Harmonie aus. Die bedächtige Kameraführung, das geschmackvolle Szenenbild und die nüchternen Darstellungen der Schauspieler stehen stets im krassen Gegensatz zu den absurden Situationen, mit denen sich die Protagonisten konfrontiert sehen. Buñuel, der sich in diesen Werken wiederholt über das Establishment amüsiert, kreierte immer wieder Situationen, die die Selbstgefälligkeit des Bürgertums offenbaren und es der Lächerlichkeit preisgeben. So scheitern in „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ die Versuche der sechs Protagonisten, ein gemeinsames Abendessen abzuhalten, an zunehmend grotesken Umständen wie einer Gruppe hereinplatzender Soldaten oder dem Umstand, dass der soeben verstorbene Restaurantbesitzer aufgebahrt im Nebenzimmer liegt. Der Contenance der sechs bourgeoisen Protagonisten tun diese Störfaktoren jedoch an keiner Stelle einen Abbruch. „Das Gespenst der Freiheit“ kann gar mit einer Szene aufwarten, welche die Absurdität gesellschaftlicher Konventionen auf die Spitze treibt: Eine gehobene Gesellschaft trifft sich an einem Tisch im Wohnzimmer, wo sie auf offenen Toilettensitzen Platz nimmt. Gepflegte Konversation bestimmt die Runde, während eine Hausangestellte Toilettenpapier auf Silbertabletts bereithält. Bis schließlich einer der Herren sich leise entschuldigt, er müsse sich kurz zurückziehen. Der Gastgeber zeigt ihm diskret den Weg in ein stilles Örtchen, wohin der Gast verschämt verschwindet – um dort in aller Einsamkeit ein Baguette mit Aufschnitt zu verspeisen…

Buñuel, der ewige Feind des Establishments, kommentierte 1971 den Umstand, dass sein Film „Tristana“ für einen Oscar als Bester Ausländischer Film nominiert wurde, trocken mit „Nichts würde mich moralisch mehr anwidern als einen Oscar zu gewinnen.“ Zwei Jahre später gewann „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ tatsächlich den (üblicherweise) begehrten Preis – Buñuels Kommentar hierzu ist leider nicht überliefert. Für das hiesige Establishment ist es hingegen umso schöner, dass seine größten Klassiker in geschmackvollen DVD- und Blu-Ray-Veröffentlichungen der ARTHAUS-Reihe vorliegen. Auch ARTE würdigt den großen Filmkünstler zu seinem 30. Todestag mit zahlreichen Ausstrahlungen seiner Meisterwerke.

Philipp Gierenstein

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