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Beim Global Media Forum konnte man sich ein Bild vom Stand des Journalismus machen
Foto: Ines Maria Eckermann

Schneller ist nicht immer besser

31. Juli 2014

Der Journalismus muss an einem neuen Selbstverständnis arbeiten – Thema 08/14 Medien

Als in den 1920er Jahren in immer mehr Wohnzimmern Radios auftauchten, sahen manche Journalisten die herkömmlichen Medien bereits dem Untergang geweiht. Manch einer glaubte sogar, dass schon bald niemand mehr eine Zeitung lesen werde. Fast hundert Jahre später sind die traditionellen Medien immer noch da, laufen Zeitungsboten jeden Morgen von Briefkasten zu Briefkasten. Dennoch macht der stete Wandel der Medienlandschaft zunehmend den alteingesessenen Verlagen zu schaffen. Während also bei immer mehr Zeitungen die Druckerpressen endgültig schweigen, erobern neue Angebote die Gunst des Publikums: Twitter, E-Paper, Blogs, Youtube-Kanäle.

Beim Global Media Forum der Deutschen Welle in Bonn diskutieren Medienschaffende aus der ganzen Welt über die Zukunft des Journalismus in der Online-Kultur. Und schnell wird klar: Das Internet ist längst kein Neuland mehr – es ist ebenso ein Teil unserer Realität wie Radio, Mobiltelefone und Satelliten-Fernsehen. Deshalb fordert Thorbjørn Jagland, Generalsekretär des Europarates: „Der Zugang zum Internet ist ein Menschenrecht.“ Ohne Internet geht heute nichts mehr – und das bekommen auch die Medien zu spüren: Wer die neuesten Nachrichten nicht als erster über Twitter, Facebook und Co. verbreitet, gilt schnell als inaktuell, trödelig, uninteressant. Wer mithalten wird, muss also schneller werden – aber nicht unbedingt besser.

Und so nutzen Journalisten nach Kräften die neuen Möglichkeiten: Textlängen können online beliebig variieren, je nachdem, was die Geschichte hergibt und verlangt. Außerdem können Fotostrecken Artikel anschaulicher, Videos und Podcasts Ereignisse nachvollziehbarer machen. Außerdem bietet das Internet und gerade die sozialen Medien die Möglichkeit, die Emotionen des Publikums mitzubekommen. Das hat auch die Deutsche Welle erkannt und nutzt für die Tagung eine ganze Reihe von Twitter-Hashtags. So können die Teilnehmer in 140 Zeichen widersprechen, zustimmen oder einfach mal so etwas twittern wie „Auch auf diesem Panel: Ratlosigkeit, was der Medienwandel mit Journalismus macht.“ Oder: „Jetzt Diskussion über die Zukunft des Journalismus beim gmf: Nur ältere Herren auf dem Panel! Blöde Zukunft.“ Hier geht es oft weniger um gezwitscherte Inhalte als vielmehr um Emotionen.

Doch auch wenn es um Fakten geht, spielt das Internet nach anderen Regeln als die analoge Welt. Und so erhöhen die Redaktionen ihre Schlagzahl und publizieren die neuesten Nachrichten umgehend auf ihren Websites. Während die einen also noch warteten, bis ihnen die Zeitung frühmorgens in den Kasten gesteckt wird, haben onlineaffine Leser bereits die neusten Nachrichten im Internet gelesen. Die Abonnenten zahlten also für etwas, das andere völlig gratis bekommen. Wer jedoch im Internet andere Inhalte finden möchte als in der Printausgabe, der muss auch für mehr Personalkosten aufkommen. „Die Gewohnheit, dass alles für umsonst zu haben ist, das wird nicht mehr gehen“, erklärt der Vorsitzende der Axel Springer SE, Mathias Döpfner. Wer Qualität wolle, der müsse auch dafür zahlen. Idealismus zahle weder den Kaffee in der Pause, noch die Miete am Ende des Monats, fügt Döpfner hinzu. Jedoch haben bislang die wenigsten Verlage erkannt, dass der Wert ihrer Ware sinkt, wenn sie ihn verschenken. „Minderwertige Inhalte werden auch künftig frei zugänglich sein. Besonders relevanter, exklusiver oder unterhaltender Content jedoch wird kostenpflichtig sein“, so Döpfner. Gratisangebote wie Blogs oder Videoportale sieht er als nette Ergänzung, nicht als Konkurrenz.

Doch die Dynamik der Medien ändert sich. Führte früher noch der Weg über ein Studium und ein Volontariat in die Redaktion, gibt es heute auch Abkürzungen – und Irrwege. Was alternative Medien bewirken können zeigt das Beispiel von Bassem Youssef, der mit seiner Satire-Show vom Herzchirurgen und Hobby-Blogger zum Medienstar wurde. Seine kostenlosen Youtube-Videos waren bald so beliebt, dass er eine eigene TV-Show bekam, die jede Woche über 13 Millionen Zuschauer erreichte. Doch der Erfolg der Politsatire war der ägyptischen Regierung ein Dorn im Auge. Nach einer Welle von Klagen wurde die Sendung verboten. „Satire war unsere Waffe, um die Sprache der Unterdrückung und die Angst abzuschütteln. Wer lacht, der kann keine Angst mehr haben“, erklärt Youssef.

Das Absetzen seiner Sendung sieht er nicht als Scheitern – sondern als Erfolg. Er hat eine ganze Generation inspiriert und so sehr aufgewühlt, dass er so das Verbot provoziert hat. „Vielleicht kommt der Wandel aus einer völlig unerwarteten Richtung“, sagt Yousseff – und das muss nicht zwingend das Internet sein. „Aber unsere Idee lebt weiter.“ Andere Youtuber nehmen Szenen aus seiner Show oder bereiten seine Witze neu auf, schaffen daraus neue Satire, um Angst und Unterdrückung wegzulachen. „Humor ist die beste Medizin gegen schlechte Politik“, schließt Youssef und erhält stehende Ovationen.

In Ägypten wurden die digitalen Medien zur Waffe der Freiheit. In Europa dagegen werden sie auch zur Herausforderung für Medienkonzerne und Journalisten gleichermaßen. Wer dauerhaft Bestand am hart umkämpften Medienmarkt haben will, der muss Qualität liefern – und dafür braucht es Profis. Doch neben der bislang noch ungeklärten Frage nach der Finanzierung des Qualitätsjournalismus gibt Jagland etwas ganz Wesentliches zu bedenken: „Es ist eine Gefahr, dass wir vergessen, das zu reflektieren, was wir da alles wahrnehmen“ – und das wir in der Flut von Inhalten emotional untergehen. Qualitätsjournalismus beginnt also auch in den Köpfen des Publikums.

INES MARIA ECKERMANN

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