Ganz ausverkauft war der 500 Plätze umfassende Kinosaal bei der Premiere der Poetry Slam-Dokumentation „Dichter und Kämpfer – Das Leben als Poetry Slammer in Deutschland“ auf der Berlinale dann doch nicht. Aber das zahlreich angereiste Publikum konnte sich auf einen Film, der sich erstmalig mit dem Thema Poetry Slam im Kinoformat beschäftigt, freuen.
In mehreren Episoden werden in „Dichter und Kämpfer“ die vier Poetry Slammer Theresa Hahl, Sebastian 23, Julius Fischer und Philipp Scharrenberg begleitet. Hierbei werden spezielle wie auch scheinbar übliche Eigenheiten der Slammer aufgezeigt. Szenen, in denen sich Scharrenberg vor einem Solo-Auftritt als Lockerung mit den Händen den ganzen Körper abklopft oder Hahl ein Gedicht aufsagend am Ufer eines Flusses steht, wirken dabei genauso intensiv, wie Szenen, in denen Sebastian 23 in einem Workshop Neulinge anleitet oder Fischer mit blinkender Neonbrille auf der Bühne tobt. Herrlich kurios wird es, wenn einige Slammer bei Aufwärmübungen vor einem Fußballspiel mit dem Schlachtruf „Hogekamp, Hogekamp…“ dem Vater des deutschsprachigen Poetry Slams, Wolfgang Hogekamp, huldigen.
Völlig losgelöst…
Die facettenreichste Darstellung wird hierbei Theresa Hahl zu teil. Als Dichterin, die Natur zum Schreiben braucht und ihren Schreibblock stets mit sich trägt, verkörpert sie fast eine klassische Bilderbuchdichterin, auch wenn sie sich skeptisch als Amateurin betrachtet. Die sprachlich ausgefeilten Texte Hahls begeistern und erzeugen im Saal oft spürbare Sprachlosigkeit.
Die drei Herren der Poetry-Schöpfung hingegen werden zum Großteil lediglich auf ihre komödiantische Seite reduziert. Das ist schade, da diese Darstellung keinem von ihnen gerecht wird. Dabei ist es gerade Sebastian 23, der in einer Szene am Bahnhof in einen Zug einsteigt und dabei über die Entwicklung der Poetry-Szene sinniert: „Früher war man einer von 100; jetzt ist man einer von 1000: Lektionen in Demut.“
Auch die Einbindung der vier Protagonisten in die „Slamily“, die aus anderen Poetry Slammern bestehende Szenen-Familie, wird in „Dichter und Kämpfer“ versäumt. Gerade in Interaktionen mit anderen Poetry Slammern hätten andere Seiten aufgezeigt werden können, die für eine weniger oberflächliche Darstellung der Charaktere förderlich gewesen wäre. So besteht der Film aus zusammengesetzten Einzelporträts der ausgewählten Slammer.
Macht sich der Zuschauer die Mühe, ein Mosaik aus allen Szenen zu erstellen, erhält er ein - etwas umständlich präsentiertes - vielfältiges und detailgetreues Bild eines typischen Poetry Slammers. Für ein Publikum, das jedoch nicht in direktem Kontakt mit der Poetry-Szene steht, erweist sich „Dichter und Kämpfer“ als tendenziell untauglich. Eine Einführung in die Szenekultur wird ausgelassen, was ein grundlegendes Verständnis für der Szene Außenstehende erschwert.
Dennoch bemerkenswert ist die Umsetzung des ambitionierten Filmprojekts, das es trotz fast nicht vorhandener Finanzierungsquellen – gefördert wurde es nur von RUHR.2010 und dem Kulturzentrum GREND –auf die Berlinale geschafft hat. Schon hierin kann sich „Dichter und Kämpfer“ bestätigt sehen. Ob der Erfolg auch durch die „Slamily“ bestätig wird, wird sich beim bundesweiten Filmstart zeigen.
www.dichter-und-kaempfer.de
Der Trailer zum Film
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