Zurzeit werden eifrige Kinobesucher immer wieder auf die Rolle Deutschlands in den düsteren Kapiteln des 20. Jahrhunderts zurückgeworfen: Die Dokumentation „Der Anständige“ von Vanessa Lapa bebildert die mitunter schrecklich harmlosen Tagebucheintragungen Heinrich Himmlers mit zeitgenössischem Bildmaterial. „Phoenix“ von Christian Petzold verhandelt die Stunde Null direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und widmet seinen Film dem Staatsanwalt Fritz Bauer, der maßgeblich am Zustandekommen der Auschwitz-Prozesse beteiligt war. Giulio Ricciarellis Spielfilm „Im Labyrinth des Vergessens“ erzählt davon, gegen welche Widerstände Bauer und seine Mitstreiter im Nachkriegsdeutschland ankämpfen mussten. Fatih Akin hingegen begleitet in „The Cut“ die Odyssee eines Armeniers, der nach den vom Deutschen Reich geduldeten Massakern während des Ersten Weltkriegs seine Töchter sucht. Im Oktober beschäftigt sich außerdem eine kleine Stummfilmreihe mit dem „Kino am Vorabend des Ersten Weltkriegs“. Dort läuft mit „S1“ (1913) von Urban Gad auch ein Film, der mit patriotischen und militaristischen Tönen die Stimmung transportiert, die kurz vor dem Krieg in weiten Teilen Deutschlands herrschte. Die ausschließlich in 35-mm-Kopien gezeigte Filmreihe mündet in eine Konzertreihe zum Thema „Krieg und Musik“, ein letzter Höhepunkt in einem Jahr, in dem sich der Beginn des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal jährt und der „Sprung ins Dunkle“ sorgfältig aufgearbeitet wurde. Dort wird am 2. November auch Buster Keatons Stummfilmklassiker „Der General“ mit Livemusik in der Philharmonie präsentiert.
Wer sich für die Zeit interessiert, wird schnell im Netz fündig, findet nicht nur Texte und Bilder, sondern auch Filme. Auch auf YouTube gibt es zahlreiche Filme und Filmschnipsel, die allerdings nur unsystematisch Einblicke in die Zeit liefern. Kuratiert ist hingegen das Digitalisierungsprojekt „EFG1914“, das auf der Seite des „European Film Gateway“, ein Zusammenschluss aus europäischen Filmarchiven und Kinematheken, zeitgenössisches Filmmaterial zum Ersten Weltkrieg sammelt. Übergeordnet bietet die virtuelle Bibliothek „Europeana“ zugriff auf das europäische Kulturerbe – inklusive Film.
Wenn man über Filmgeschichte spricht, muss man auch über die großen Schwierigkeiten sprechen, vor denen die Filmarchive stehen, um die Schätze in ihren Sammlungen materialgerecht zu konservieren und zu digitalisieren. In Frankreich hat die Regierung für einen Zeitraum von vier Jahren 400 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, eine Petition in Deutschland forderte vor einem Jahr 500 Millionen für die kommenden zehn Jahre für die Digitalisierung. Eine Million pro Jahr sichert die Regierung zu. Die Digitalisierung ist – wenn man an die vielen Formatwechsel der letzten Jahre und die Sicherheit von Rechenzentren denkt, aber nur ein kleiner Teil der Aufgabe. In Frankreich weiß man, dass klassisches Filmmaterial die beste Art der Sicherung ist und kopiert nach der Digitalisierung zurück auf Filmmaterial. Auch das MoMA versucht, alle Filme auf 35 mm zu archivieren – sogar diejenigen, die ursprünglich digital aufgenommen wurden. Zumindest bei Fatih Akins „The Cut“ wird das nicht nötig sein: Der Film wurde komplett analog gedreht.
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