Es regnet. Unerschütterlich steht der Platzwart auf dem Fußballfeld und hält die Latte, die während des F-Jungendspiels am Nachmittag gebrochen ist. In selbstloser Hingabe hat er den Rasen nachts mit seinem Rasierapparat geschnitten und mit seinem Kalkwagen die Linien frisch gezogen. In seinem hymnischen Text porträtiert Lars Ruppel einen Platzwart, der Leib und Leben dem Verein verschrieben hat.
„Slam the WM“ ist in vollem Gange. Der Slam ist der siebte Termin auf der Reise durch die Austragungsorte der Frauenfußball-WM und der vorletzte vor dem abschließenden Finale „Battle of the Sexes“ in Berlin. Sebastian23, Rhetoriker und Poetry Slammer im Dauereinsatz, moderiert zusammen mit Ko Bylanzky. Dieser ist neben Rayl Patzak Initiator und Kurator von „Slam the WM“, die von der DFB-Kulturstiftung unterstützte Reihe.
Feminismus? Nein Danke.
Wenige Minuten nach der enthusiastischen Begrüßung durch das Moderatorenduo spielt Poetry-DJ Rayl Patzak demonstrativ dezent an einer Fußball-Barbie-Puppe herum, mit unüberhörbaren Kommentaren: „Ist das jetzt sexistisch?“ Diese kommen so intuitiv zustande, wie der Eindruck, dass Feminismus hier keine große Priorität hat. Die Moderatoren erklären das Thema: „Hier geht es heute um Frauenfußball, Fußball und Frauen und Fußball“. Damit fassen sie den Abend zusammen. Um emanzipatorisch auf der sicheren Seite zu sein, überträgt Sebastian23 einer Dame aus dem Publikum die Aufgabe, männliche und weibliche Differenzen bei den Formulierungen zu beachten. Fortan trägt sie den Titel „Gender Defender“.
In zwei 45-minütigen Spielzeiten mit 15 Minuten Halbzeitpause treten jeweils fünf Slammer gegeneinander an. Diese setzen sich zusammen aus Mitgliedern der Poetry Slam Nationalmannschaft (Clara Nielsen, Franziska Holzheimer, Bente Varlemann, Torsten Sträter und Lars Ruppel) und dem lokalen Heimteam in Personen von Laura Reichel, Anke Fuchs, Sophie Passmann, Sulaiman Masomi und Florian Cieslik. Sechs Frauen, vier Männer: Quotentechnisch vorbildlich. Die einzige Vorgabe: Ein Text mit Fußball-Bezug. Der Spielplan ist festgelegt, die Moderatoren pfeifen aus den letzten Löchern − und das Dichter-Spiel an.
Männlichkeit? Ja Bitte.
Es folgt ein buntes Treiben aus fußballerischer Realität, künstlerischer Raffinesse und völliger Ahnungslosigkeit. Laura Reichel, die erste lokale Herausforderin, eröffnet den Dichterstreit mit den Worten: „Ich entschuldige mich vorab bei allen Frauen und Schalke-Fans“. In roher Manier poltert die Dortmunderin über Fußball-Rituale. Sie ist ein ganzer Kerl, wenn sie offen zugibt, Fußball zu lieben und ihren Freund für seine Abneigung zu diesem Sport zu degradieren. Während Sophie Passmann mit einem Text überzeugt, in dem sie mit reiner Ernsthaftigkeit posaunt überhaupt keine Ahnung von Fußball zu haben, gibt Torsten Sträter, der „Slam the WM“ schon zweimal gewann, das geradeheraus auch zu, überspielt es aber schnell. Sulaiman Masomi treibt das Ganze jedoch auf die Spitze: Er hat eine Nase für klischeebelastete Rollenbildtexte, die er als personifizierte Krönung der Männlichkeit zur Schau stellen muss. Da schon Freundin Sabine seine Slam-Texte als allesamt frauenfeindlich einstuft, kann sich nun auch das Publikum im Freibeuter an diesen Werken erfreuen. Leider geht in dem ganzen Fußball-Trubel Anke Fuchs eleganter Text etwas unter.
Im Eins-gegen-Eins-Finale gegen Sophie Passmann dichtet sich Lars Ruppel in sich qualitativ abhebenden Versen zum Sieg. Mit „Der Deutsch“ bietet er eine Mischung aus Lyrik in einer intelligent humoristischen Verpackung. Unter Jubelstürmen streckt er den Siegerpokal in die Luft. Nationalmannschaft und Heimteam liegen sich in den Armen. Eine Harmonie, die im Fußballleben des Ruhrgebiets so unwirklich ist, wie die Ernsthaftigkeit dieser Veranstaltung.
www.slamthewm.de
www.freibeuter-bochum.de
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