Die Romantik hält großartigen Stoff für eine musikalische Märchenstunde bereit. Mendelssohn erzählt das „Märchen von der schönen Melusine“, zudem die Erlebnisse auf der „1. Walpurgisnacht“, Schumann vertonte in seinen letzten Düsseldorfer Jahren Ludwig Uhlands „Der Königssohn“. Diese fantastischen Stoffe bündelt der Philharmonische Chor Bochum (nach der obligatorischen „Matthäus-Passion“ zu Ostern), um diesem übersinnlich-mythischen Thema ein ganz neues Werk hinzuzufügen: Die Bochumer Symphoniker haben bei dem in Essen ausgebildeten Pianisten und Komponisten Christian Nagel eine Komposition bestellt, die auf übersinnlichen Erfahrungen des Tonsetzers basiert.
Es geht um ein Erlebnis auf einem Ökumenischen Kirchentag in München. Dort besuchte Nagel, der für ungewöhnliche Auftritte als Pianist bekannt und als Forscher im Klang-Dschungel als Komponist geschätzt wird, die dort angebotene „christliche Meditation“ eines Mönches aus Irland. So beginnen moderne Märchen und manchmal auch nachhaltige Chorkonzertstücke. Der Mönch beschwor seine Gemeinde mit dem aramäischen Wort „marantha“, das heißt „Komm, Herr“. Und es kamen Töne und Klänge, zumindest im Kopf des meditierenden Komponisten. Er beschreibt sie als glockenartig, hell, obertonreich, sanft und beruhigend. Er schrieb darüber das Stück „Wasser des Lebens“, und er nahm diesen Titel wörtlich. Zum Einsatz kommen mit Wasser befüllte Gläser, die von den Choristen durch Reiben am Rand und durch Anschlagen zum Klingen gebracht werden. Der Wasserstand im Glas bestimmt die Tonhöhe. Was heute beinahe avantgardistisch erscheint, besitzt eine lange Geschichte.
Bereits im 15. Jh. wurde auf Gläsern musiziert. 200 Jahre später entdeckte jemand den Reibeffekt am Glasrand, im 18. Jh. wurden bereits Instrumente gebaut, die als „Glasharfe“ bekannt wurden. Halbkugelförmige Glasglocken saßen auf einer Welle und wurden durch Fußantrieb in Bewegung versetzt. Berührt der Spieler nun mit der wasserbenetzten Fingerkuppe den rotierenden Glasrand, erklingt die Glocke. Die Glasharmonika avancierte zum Lieblingsinstrument des „empfindsamen Zeitalters“, selbst Mozart komponierte ein ergreifendes Adagio für dieses singende Instrument, auch Beethoven kam nicht daran vorbei. Berühmt wurde der Einsatz in der Strauss-Oper „Die Frau ohne Schatten“.
Insofern greift Nagel eine schöne Tradition auf, verwirklicht mit einem menschlichen Gläserspiel, dem er einige Regieanweisungen auch für Dirigentin Susanne Blumenthal zur Behandlung des nassen und leicht überschwappenden Instrumentariums anhängt. So sollen die Proben „trocken“ gefahren, nur die Rhythmen einstudiert werden. Und eine Wahrheit gibt er den Choristen – nicht nur für diesen Spezialfall – mit auf den Weg: „Am schönsten wird es klingen und wirken, wenn Sie Freude am Musizieren mit den Gläsern haben. Dann stellt sich wie von selbst die Wirkung ein, die beabsichtigt ist: feierlich, geheimnisvoll, wie ein Ritual.“
Philharmonischer Chor Bochum, Bochumer Symphoniker, Susanne Blumenthal | Do 30.4. 20 Uhr | Christuskirche | www.bochumer-symphoniker.de
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