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Lachen mit dem Mittelstand
Foto: © Meyer Originals

Von Gutmenschen und Fremden

26. März 2015

Philipp Löhles Komödie „Wir sind keine Barbaren!“ im Theater der Keller – Auftritt 04/15

Barbara und Mario (Susanne Seuffert, Arno Kempf) wohnen in einem schicken Appartement in einem guten Wohnviertel. Sie sind im mittleren Alter, leben zufrieden, auch wenn ihre Beziehung wohl nicht mehr die leidenschaftlichste ist. Das wird ihnen klar, als Linda und Paul (Julia Doege, Matthias Lühn) nebenan einziehen. Ein junges, hippes Ehepaar, dessen Anwesenheit sich durch lauten Sex ankündigt, der durch die Wände dringt. Paul schockiert durch einen mehr als infantilen Humor und Linda durch ihren Fitnesswahn. Die beiden ungleichen Ehepaare kommen sich näher, als eines Nachts ein Unbekannter an der Haustür klopft. Linda und Paul haben nicht geöffnet. Barbara und Mario schon. Sie haben dem nächtlichen Besucher, einem schwarzafrikanischen Flüchtling auf der Suche nach Unterkunft, Obdach gewährt. Für Barbara ein Akt menschlicher Anteilnahme am Schicksal der weniger Bemittelten.

In vielen Gesprächen nun treffen zwei Welten aufeinander. Die der selbstoptimierten und gedankenlosen Hedonisten, Paul und Linda, die die Einstellung vertreten, dass sie nicht verantwortlich sind für das Leid anderer. Und die einer Generation, die in diesem Kontext nicht zu Unrecht mit dem Kampfbegriff „Gutmenschen“ zu belegen ist, da die Anteilnahme an dem Schicksal sich recht schnell als selbstgerecht entpuppt und nicht weniger von Klischees bestimmt ist. Barbara beginnt eine Affäre mit dem Flüchtling – der nie auf der Bühne erscheint –, was zur Katastrophe führt.

In diese Rahmenhandlung hat Löhle immer wieder einen Sprechchor eingebaut, wohl eine Anleihe vom klassischen griechischen Drama. Der Sprechchor proklamiert teils ironisch, teils anklagend das Selbstverständnis des deutschen Wohlstandsklischees.

Steffen Jäger legt in seiner Inszenierung viel Wert auf die Ausgestaltung der Figuren, die trotz anfänglicher Konflikte doch eine Schicksalsgemeinschaft bilden. Jäger findet für die Figurenkonstellationen auf der Bühne klare Bilder. So etwa beim ersten Streit darüber, ob es eine Pflicht sei, den Flüchtling aufzunehmen. Linda an den linken Bühnenrand gelehnt, Barbara herausfordernd am rechten Bühnenrand stehend. Die beiden Männer, zu Zuschauern degradiert, in der Mitte auf dem Sofa sitzend. Viele Szenen werden chargierend ins karikaturhafte überhöht. Besonders Julia Doege schafft es dennoch, ihrer Figur eine authentische Note zu verleihen, in der sich der naive Widerspruch von egozentrischer Selbstoptimierung und Herzlichkeit trifft. Arno Kempf spielt Mario, den gehörnten Ehemann, mit viel Witz, einem guten Gespür für Timing und kann somit die Pointen des Abends größtenteils für sich einheimsen. Matthias Lühn als überdrehter Hausmann ist auf der Bühne ein echtes Energiebündel, kann aber seiner Figur nicht wirklich Tiefe verleihen. Susanne Seuffert wirkt in den vor allem am Anfang sehr lauten Szenen nicht ganz überzeugend. Sobald leisere Töne ins Stück einziehen, gewinnt sie an Bühnenpräsenz und macht den Widerspruch zwischen gutgemeintem Engagement, melancholischer Frustration und der eigenen Verblendung greifbar.

Die Inszenierung hat einen funktionierenden Rhythmus. Der Sprechchor als gliederndes Element zwischen den Szenen verleiht dem Abend eine gute Dynamik. Das verschleiert aber nicht den teilweise oberflächlichen Text, der doch manchmal zu offensichtlich die Schwächen der Figuren im Streitgespräch ausbuchstabiert. Auch das Setting, der nachts klingelnde Flüchtling, der dann eine Affäre mit der Gastgeberin anfängt, wirkt arg konstruiert. Dennoch ist „Wir sind keine Barbaren!“ unterhaltsam, eine Komödie mit relevantem Thema. Ein urbanes und aufgeklärtes Publikum dürfte allerdings der bisweilen im Subtext mitklingende anklägerische Ton – seht, so funktioniert ihr – nerven. Für einen Abend mit intellektuellem Mehrwert liefern Text und Inszenierung zu wenig Elemente, die wirklich irritieren.

„Wir sind keine Barbaren!“ | R: Steffen Jäger | Mi 1.4., Sa 18.4., Do 30.4. 20 Uhr | Theater der Keller | 0221 27 22 09 90'

CHRISTOPH OHREM

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