Egal, mit wem man redet – mit Freunden, Verwandten oder Arbeitskollegen: Woanders als in der Stadt zu leben, ist eigentlich kein Thema mehr. Die zuständigen Experten kennen diesen Prozess schon länger. „Das Erscheinungsbild der Innenstädte prägt einerseits die Identifikation der Stadtbevölkerung nach innen und andererseits das Stadtimage nach außen“, merkt das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung anhand einer bundesweit durchgeführten Studie an. Damit bestätigt es die Schlagzeilen, die von einer „Rückkehr der Stadt“ oder „neuer Urbanität“ reden. Selbst im veedelsfixierten Köln lässt sich das beobachten. Die Renovierung von Schauspielhaus und Oper, die Auseinandersetzung um die Nord-Süd-Bahn, Ausgehen am Brüsseler Platz – in all diesen Konflikten geht es um die gleiche Frage: In was für einer Stadt wollen wir leben?
Woraufhin sich gleich die nächste Frage anschließt: Wer ist dieses „wir“ eigentlich? Denn die Mittel- und Oberschichten bleiben in den Städten zusehends unter ihresgleichen. Das Deutsche Institut für Urbanistik hat in einer Studie festgestellt, dass in deutschen Städten die Armut an den Stadtrand wandert. Zwar ist die räumliche Verteilung in Köln, wo am Süd- und Westrand des Stadtgebiets eher reiche Viertel liegen, ein wenig anders, aber dennoch gehört die Domstadt zu den Städten, in denen eine räumliche Segregation durch Armut besonders weit fortgeschritten ist. Das hat Auswirkungen, z.B. auf die Bildungschancen. In Lindenthal oder Rodenkirchen liegt der Anteil der Grundschüler, die auf das Gymnasium wechseln, weit über 60 Prozent, in Kalk, Chorweiler oder Porz unter 30 Prozent. Diese Unterschiede über die Stadtplanung nivellieren zu wollen, ist ein schwieriges Unterfangen. In Großbritannien, wo sich die Stadtplanung in den letzten 15 Jahren am Ideal einer sozial gemischten Einwohnerschaft orientierte, hat dies nicht zu einem Verschwinden der Armut, sondern zu einer räumlichen Koexistenz von Arm und Reich geführt, die nicht unwesentlich zu den Riots vom August 2011 beigetragen hat.
Das Ehrenfeld-Gefühl
In solchen Ausschreitungen drückt sich neben strukturellen Faktoren aber immer auch eine Dimension des Urbanen aus, die der Stadtsoziologe Henri Lefebvre als „imaginär-affektiv” bezeichnet, was im Kölner Stadtmarketing leutselig als „Jeföhl“ bezeichnet wird. Was lange eine Domäne des Rechtspopulismus war, wenn z.B. Personenkontrollen und Platzverweise von Obdachlosen oder Bettlern mit dem „Unsicherheitsgefühl” der Bürger begründet wurden, kann jedoch auch im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung genutzt werden. Hier lassen sich Reserven mobilisieren, die nötig sind, um eigene Interessen auch gegen machtvolle Widerstände durchzusetzen.
Während der Debatte um die weitere Nutzung des Ehrenfelder Helios-Geländes tauchte immer wieder das Bild des türkischen Gemüse- oder Kleinwarenhändlers an der Venloer Straße auf, der von einem möglichen Einkaufszentrum aus dem Wettbewerb gedrängt werden würde. Wer die Venloer Straße entlangfährt, wird diese türkischen Läden lange suchen müssen. Zwischen Kanalstraße und Gürtel dominieren die Ketten: DM ist gleich mehrmals vertreten, die Biomarktkette Denn’s hat dort eine ihrer vier Kölner Filialen. Die türkischen Läden beschränken sich überwiegend auf die üblichen Nischen: Gastronomie und Kioske. In der Figur des „türkischen Ladenbesitzers” drückt sich etwas anderes aus: ein Wunsch nach einer spezifischen Ehrenfelder Urbanität aus Multikulturalität und kleinräumiger Gemütlichkeit, die man am ehesten in den Cafés und Läden in der Körnerstraße und ihren Nebenstraßen entdecken kann und die durch das Einkaufszentrum gefährdet gewesen wäre.
Die Vorstadt in der Großstadt
Ehrenfeld ist damit typisch für eine Erscheinung einer „neuen Urbanität“, die die Stadtsoziologin Susanne Frank als „innere Suburbanisierung” bezeichnet. Bestimmte Vorlieben der Mittelschichten werden aus dem alten präferierten Lebensraum, der Vorstadt, in die neuen präferierten Lebensräume, die Innenstädte, ‚mitgenommen‘. Städtebaulich lässt sich das z.B. in der autofreien Siedlung in Nippes beobachten, wo mit parzellierten Rasenflächen in einer Massensiedlung das Vorstadt-Eigenheim mit Garten simuliert wird.
Damit ändert sich auch die Rolle derjenigen, die für gewöhnlich als Agenten einer neuen Urbanität gelten: der „urbanen Pioniere“. Anstatt wie in den 1970ern und 1980ern Industriebrachen und Leerstand zu urbanisieren, sind ihre Orte kleinräumiger und ist deren Atmosphäre familiärer geworden. Dort auszugehen erinnert eher an den Besuch des Jugendzentrums oder der einzigen erträglichen Kneipe der Heimatstadt. Egal, ob es sich um kommerzielle Konzert- und Kunstorte wie das King Georg und die Boutique im Agnesviertel oder um ehrenamtliche wie das GENAU und die Baustelle in Kalk handelt – sie nutzen die Nischen in einer Stadt, in der die Umnutzung der fordistischen Ruinen zu postfordistischen Erlebnisräumen (Mediapark, Live Music Hall, Balloni) schon weit fortgeschritten ist. Sicher sind diese Nischen trotz ihrer oberflächlichen Harmlosigkeit dennoch nicht. Beschwerden aus der Nachbarschaft, Mietsteigerungen oder die Umwandlung in Eigentum können schnell das Ende solcher Nischen bedeuten. Bis heute gibt es kaum stadtplanerische Mittel, diesen Prozess nachhaltig zu gestalten. Die nächste Generation an Pionieren zieht als unfreiwillige „Scouts” für die Inwertsetzung durch die Immobilienwirtschaft in ein noch nicht erschlossenes Stadtviertel weiter. Dabei liegen hier die Chancen. Denn die Interessen der ökonomisch oftmals prekären Pioniere und der von Mietsteigerung bedrohten Anwohner konvergieren vielfach, lediglich ihre Sprache, ihre Symbole sind andere. Was fehlt, ist das „Jeföhl”, in dem sich die Gemeinsamkeiten ausdrücken und politisch artikulieren können.
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www.engels-kultur.de/kulturstadt-im-tal
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