Schon beim Eintreten in den Raum ist man sofort eingenommen von den schwebenden Klangkunstwerken, die an Seilen von der Decke hängen. Während man die feinen Töne vernimmt, die sich teils im Duett vereinigend, teils um die Aufmerksamkeit des Besuchers buhlend in die Gehörgänge schleichen, wandelt man um die hölzernen Objekte und versucht zu ergründen, wie der wundersame Klang entsteht, der den Raum samt Besuchern einhüllt. Fast wie eine skulpturale Klangfigur muten die Töne an. „Im ständigen Wandel changieren sie kaleidoskopisch“, fügt Simon Rummel hinzu, während er selbst ganz fasziniert auf seine Klangmaschiene blickt.
In den Werken des Komponisten Simon Rummel und der Medienkünstlerin Tina Tonagel kommen zwei verschiedene Herangehensweisen an Klang, Visualität und Raum zum Tragen. So ergänzen sich Rummels Feingefühl für akustische Phänomene und Tonagels Bezug zu Materialität und ortsspezifischen Arbeiten zusammen. Durch diese Kombination wird etwas ganz Neues geboren: ein Hybrid aus Akustik und Visualität. Verarbeitet sind sowohl traditionelle Materialien wie Holz oder Glaskolben, als auch moderne Elektrotechnik. Bei der Konstruktion wurden Materialien zweckentfremdet – Ihrem ursprünglichen Kontext entrissen, werden so Klavierseiten in einen neuen Zusammenhang gebracht. Auch E-bows, ursprünglich Effektgeräte für elektrische Gitarren, bekommen eine neue Bestimmung.
Die fünf selbsterdachten und selbstkonstruierten Instrumente modellieren klanglich den Raum, sodass ein sich ständig verändernder Klangraum entsteht. Dabei spielen sich die Instrumente selber, ohne ein festgesetztes Ende oder einen Anfang. Die eingearbeiteten Motoren im Resonanzkörper verkürzen oder verlängern die Saiten, um die Tonhöhe zu verstellen. Das Besondere daran: Klang ist unmittelbar erfahrbar. Der Betrachter sieht am sich langsam aber kontinuierlich bewegenden Arm des Motors, der die Verbindung zu den Saiten bildet, wie sich ein Ton entwickelt, sich verändert. Dabei beweisen die Kunstwerke einen gewissen Eigenwillen: Das, was der Besucher an Klangzusammenspiel vernimmt, ist keine Komposition – einmal in Gang gesetzt, spielen die fünf „hölzernen Schiffe“, wie sie von den beiden Künstlern genannt werden, nach ihren eigenen Regeln, willkürlich und unvorhersehbar. Spielen alle Musikschiffe gleichzeitig, ergeben sich dabei interessante Klangüberlagerungen.
Dem Kunstwerk eigen ist auch die Besonderheit, dass es ein kinetisches Statement setzt. Es wird nicht, wie so oft in der Kunst, ein Interpretationsvorgang angestoßen, der die Aufgabe an den Betrachter richtet, das Kunstwerk zunächst zu ‚enträtseln‘. Rätseln muss man in dieser Ausstellung nicht: Die Töne werden, wie einem Silbertablett präsentiert, und sind durch die Visualisierung der Akustik schon fast selbsterklärend
Die Ausstellung zeigt moderne, zeitgenössische Klangkunstobjekte, die keinen Komponisten mehr benötigen, sie spielen sich selbst. Hier sollte man sich etwas Zeit nehmen und einfach mal dem Wahrnehmungsprozess aussetzten, um sich selbst einen Reim darauf zu machen …
Neben den regulären Öffnungszeiten ist die Ausstellung noch am 30.9 mit expliziter Vermittlung und Rahmenprogramm geöffnet. Bei ‚Andere Musiken‘ gibt es ein moderiertes Künstlergespräch mit Simon Rummel und Tina Tonagel.
„Erholung an Bord“ | bis 10.10. | Atelierhaus Quartier am Hafen, Ausstellungsraum Q18
| 0152 561 90 502 |
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