Hoppla. Da ist im Museum aber nicht ordentlich gefegt worden. Schon in der ersten Ecke im neuen Ausstellungstrakt der Bonner Bundeskunsthalle liegt Unrat, und schon jetzt darf man verraten: Man wird ihn weiterhin wittern können. An der Wand neben dem Kehricht hängt ein gestohlener ausgestopfter Kanarienvogel, der auf einem Ast hockt und seinen Begleitzettel im Schnabel hält. „She, fully turning around, became terrestrial“ (2013) des Kosovaren Petrit Halilaj (geboren 1986 in Kosterrc, Studium in Mailand) ist erst einmal das einzige präparierte Original, das der Besucher zu sehen bekommt. Tiere bevölkern dagegen den ganzen Saal, leere Vitrinen, ein ziemlich alter Schrank. Viele der Vögel, Fische und Säugetiere lehnen gedankenverloren daran, zwei Frettchen halten eine Messingscheibe. Schon der erste luftige Eindruck schafft Verwirrung, lockt das Auge, schärft die Fragen. Der Künstler Halilaj, der heute in Berlin lebt, sichert so Spuren seiner alten Heimat, Erinnerungen an die Zerstörung im Kosovokrieg (1998/99), an den Verlust des Elternhauses, dessen Trümmer er hier und da in den Installationen mit verwendet. Die Tiere aus Erde, Stroh, Kot und Beton sind Metaphern für einen Verlust, der selbst vor ausgestopften, wissenschaftlichen Präparaten nicht Halt machte.
Viele der wieder ins Bewusstsein geholten Präparate stammen aus dem Archiv des seit 2001 auch nicht mehr existierenden Naturhistorischen Museums in Pristina, Kosovo. Fast 50 Jahre lang speicherte es die Naturgeschichte eines Landes, auch die verloren gegangene Kulturgeschichte der Menschen. Halilaj hat die Sammlung, die sich in einem katastrophalen Zustand befindet, gesichert, archiviert und teilweise restauriert. So archiviert er zum Teil die verloren geglaubte Vergangenheit, schafft eine Kausalität zu allgemeingültigem Umgang mit vergessenen Gegenständen und Begebenheiten, auch eine Kausalität gegen den Verlust von der persönlichen Verortung einer gemeinsamen Geschichte.
Der Besucher muss sich erst einmal mit dem schier verwesenden, verstaubten Anblick auseinandersetzen, selbst die zahlreiche Verwendung des edlen Messings kann das Gefühl nicht brechen. Messingstäbe halten die Installation in Bonn optisch zusammen, viele Messingstäbe sind es, ein Lurch, ein Fisch, ein Adler ist darauf gelandet. Ein großer stolzer Pfau, gegenüber steht die edle Messingkiste mit der liegenden toten Sau darin, nicht mehr stolz, nicht mal mehr ausgestopft, nur die vier Uhus an der Wand scheinen sie noch zu bewachen. Und es wird noch leerer. „Dort warte ich endlos auf das Kommen des Orkans“ (2013) ist nur noch ein alter Schrank aus dem Naturhistorischen Museum, zu sehen sind noch die Reste von ausgestopften Vögeln. Beim Sperrmüll wäre er entsorgt worden, hier leistet er museale Arbeit mit einem Hauch Nostalgie, die wir kaum nachvollziehen können. Auch nicht im Raum „Cleopatra“, wo eine einfache Glühbirne rotiert und den Blick auf 18 rottende, eigentlich zerstörte Insektenkästen freigibt. Diese archivarische Kunst hat ein eigenes persönliches Gedächtnis, aber es mahnt auch den Besucher, Erinnerungen nie zu opfern.
Petrit Halilaj | bis 18.10. | Bundeskunsthalle Bonn | www.bundeskunsthalle.de
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