Kriege, wohin man sieht. Ausgerechnet im Jahr des Marathongedenkens an die großen Kriege des 20. Jahrhunderts. Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg, vor 75 der Zweite. Doch vor dem Hintergrund der aktuellen weltpolitischen Lage tritt das Gedenken in den Hintergrund. In der Ukraine liefern sich seit Juli prorussische Separatisten mit Unterstützung Russlands heftige Gefechte mit ukrainischen Verbänden um Donezk, Luhansk und Mariupol. Gaza wurde 2014 zum dritten Mal in sechs Jahren Schauplatz von schweren Auseinandersetzungen zwischen israelischer Armee und Hamas. Und in Syrien und Irak hat die islamistische Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ein fundamentalistisches Regime aufgebaut. Aber auch unterhalb unseres Aufmerksamkeitsradars finden in Mexiko, im Südsudan, Ostkongo, Kaschmir und anderen Regionen kriegerische Auseinandersetzungen statt.
Wahrscheinlich hätte es niemanden gewundert, wenn das Osloer Friedensnobelpreiskomitee in diesem Jahr keinen Preis vergeben hätte. Einerseits um, wie zu Zeiten der Weltkriege oder 1972 während des Vietnamkriegs, ein Zeichen zu setzen. Andererseits, weil die Preisverleihungen der letzten Jahre ziemlich versemmelt wurden. 2009 erhielt den Preis US-Präsident Barak Obama, weil er ein so charismatischer Hoffnungsträger war. Bis heute lässt er Terroristen mit Drohnen töten und nimmt dabei zivile Opfer billigend in Kauf. Eines seiner Hauptversprechen, das Gefangenenlager Guantanamo zu schließen, wurde auch noch nicht erfüllt. Darüber hinaus stellt die Herausforderung durch IS den Preisträger Obama vor die Kriegsfrage.
War die Auszeichnung Obamas mindestens unglücklich, war die Verleihung des Nobelpreises an die Europäische Union 2012 peinlich. Historisch kann man dem europäischen Einigungsprozess zugutehalten, Westeuropa einen historisch unfassbar langen Frieden von bisher fast 70 Jahren beschert zu haben. Mehr aber auch nicht, dafür stehen allein die Kriege im ehemaligen Jugoslawien. Das Grenzregime der EU hingegen ist alles, nur nicht preisverdächtig. Flüchtlinge werden gezwungen, in überfüllten Booten den Weg über das Mittelmeer zu nehmen, wobei jedes Jahr Tausende ertrinken. Die, die es dann doch bis Europa schaffen, müssen meist ein Leben in unwürdigen Verhältnissen fristen. Ein augenscheinliches Beispiel hierfür ist die Ende September von der Stadt Köln angekündigte akute Notfallmaßnahme zur Unterbringung von Flüchtlingen: In einem ehemaligen Praktiker-Baumarkt in Porz-Eil sollen künftig 200 Personen in einer riesigen Halle ihr Dasein fristen.
Und wer war noch gleich Preisträger 2013? Ach, ja, die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW). Ohne ihre Arbeit schmälern zu wollen, weckte diese Kür eher den Eindruck, ein Feigenblatt für die unrühmliche Rolle des Westens im Syrischen Bürgerkrieg zu sein. Auch, weil nicht gesichert ist, dass Baschar al-Assad tatsächlich alle Chemiewaffen zur Vernichtung rausgerückt hat.
Und 2014? Ließ man die ganz großen Namen links liegen und richtete den Fokus auf die Rechte von Kindern und Jugendlichen, deren problematische Situation vor dem Hintergrund der blutigen Konflikte in Vergessenheit geriet. Die Auszeichnung wird der Pakistanerin Malala Yousafzai und dem Inder Kailash Satyarthi die nötige internationale Aufmerksamkeit sichern. Dass die Ausgezeichneten auch noch Träger der Zivilgesellschaften in ihren verfeindeten Heimatländern Pakistan und Indien sind, lässt sich als friedenspolitisches Signal begrüßen.
Für den Westen ist diese Preisverleihung aber eine Wohlfühlentscheidung, das Problem ungleicher Bildungschancen wurde outgesourct. Bequem können wir uns zurücklehnen, das Problem findet ja woanders statt. Dennoch sind Yousafazai und Satyarthi verdiente Preisträger. Yousafzai, weil sie als junges Mädchen den Taliban im wahrsten Sinne des Wortes die Stirn bietet – ein Taliban schoss ihr in den Kopf, weil sie Bildung auch für Mädchen fordert. Seitdem lebt sie im britischen Birmingham, wo sie erfolgreich therapiert wurde. Satyarthi befreite bis heute annähernd 80.000 Kindersklaven aus indischen Teppichmanufakturen. 1994 wurde er dafür bereits mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet.
Konflikte in den wohlhabenden Gesellschaften werden so ausgespart. Das Komitee verharrt in einem westlichen Blickwinkel, der Probleme vor allem gerne woanders sieht. Bei einer Entscheidung für Edward Snowden hätte der Westen anders dagestanden. Preisträger Obama hätte dann Preisträger Snowden jagen müssen – eine schöne Ironie des Schicksals. Aber auch für Russland, das dem Ex-NSA-Mitarbeiter Asyl gewährt, um den USA eins auszuwischen, wäre ein solches Votum und die damit verbundene Aufmerksamkeit für den Preisträger mindestens ärgerlich gewesen.
Aktiv im Thema
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