Es ist ein fast schon heiliger Akt gewesen: Mit nagelneuen Kennzeichen, nach stundenlangem Nägelkauen in der Behörde, atemlos raus auf den Parkplatz, vier Schrauben, Zündschlüssel rein. Das erste eigene Auto setzte sich gesetzeskonform in Bewegung. Scheibe runter, lässiger Blick, nicht viel PS, dafür etwas mehr aufs Gas an der Ampel… dann rauchte irgendetwas. Dieses Gefühl will auch die Ausstellung „Geliebt. Gebraucht. Gehasst. Die Deutschen und ihre Autos“ im Bonner Haus der Geschichte erzeugen. Die Objekte der Begierde haben dort zwar ein paar Pferdestärken mehr als die meisten ersten eigenen Autos und sehen selbst im hohen Alter besser aus als die meisten zweiten und dritten eigenen Wagen, und dennoch: Nichts bewegt die Deutschen so sehr wie das Auto – kein Wunder, dass die Blumen des Besuchers Nummer 100.000 schon lange wieder verblüht sind.
Mit schicken Fahrzeugen, Jugendträumen und Helden von Poliermeisterschaften holen die Ausstellungsmacher Woche für Woche die Besucher ins Haus. Dazu gibt es die typischen Devotionalien aus vergangenen Jahrzehnten zu bestaunen. Plaketten, Plakate, Fotos, historische Dokumente – was es auch ist, alles macht die Faszination für das Auto sichtbar. Es werden auch die sozialen und kulturellen Bedeutungen gezeigt: individuelle Mobilität als Mehrwert in Beruf und Freizeit. Das Fahrzeug als Statussymbol hat dabei seinen Reiz nie verloren, oder warum fahren immer mehr mit aufgepustetem Turnbeutelvehikel (SUV) durch die Gegend?
Doch der „Deutschen liebstes Kind“ ist längst zu einer heiligen Kuh geworden, deren Abmagerung oder gar Schlachtung hohe Wellen schlägt. Millionen Autos fahren momentan quasi ohne Betriebserlaubnis durch die Lande, Hunderttausende fürchten um ihren Verbrennungsmotor-Arbeitsplatz. Auch diesen Aspekt zeigt die Ausstellung. Was ist das echte Highlight? Natürlich der „Melkus RS 1000“, der einzige Sportwagen, der in der DDR in Serie gebaut worden ist – mit Flügeltüren, nur die Reifen blieben immer ein bisschen schmal.
„Geliebt. Gebraucht. Gehasst. Die Deutschen und ihre Autos“ | bis 21.1. | Haus der Geschichte Bonn | 0228 916 50
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