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„Es ist so gekommen, dass ich mir im Jahr 2012 im Dunkeln die Hände wasche.“
Foto: Birgit Schröter

Notbeleuchtung

14. November 2012

Wo ist das Licht? Gedanken von Vera Pestel – Literatur in NRW 11/12

Ich befinde mich im August des Jahres 2012. Früher als Kind dachte ich, dass wir in solch einem Jahr, das sehr utopistisch klingt, in ähnlichen eng anliegenden Anzügen durchs Weltall schwirren, es keine Autos mehr gibt und wir nicht nur auf der Erde zu Hause sind. Alle Türen öffnen sich von alleine mit einem leisen schscht. Klassischer Fall von zu viel Raumschiff Enterprise. So schnell geht es nun doch nicht mit dem Fortschritt. Es ist so gekommen, dass ich mir im Jahr 2012 meistens im Dunkeln die Hände wasche, weil mein Leuchtmittel in der Badezimmerlampe zu lange braucht, um hell zu werden. Oft gieße ich mir abends in der Küche den Tee im Dunkeln ein, die Lampe dort scheint noch länger zu brauchen als die im Bad. Über Tag habe ich das Tageslicht, abends eine Notbeleuchtung. Das Lesen am Schreibtisch mit Licht fällt schwer. Das Licht ist ein anderes, nicht das meiner Kindheit. Das nervt mich schon lange. Das will ich ändern. Das ist kein Zustand.

Vera Pestel
Vera Pestel lebt und arbeitet als Autorin auf dem Land. „Neues von der Lebensfront“ findet sich auf ihrem Blog: www.verapestel.de

Ich habe wie alle mit der Zeit diese Energiesparlampen eingesetzt. Langsam aber stetig hielten sie Einzug in die Regale der Märkte, standen neben den Glühbirnen und verdrängten sie langsam. Ihre Umweltfreundlichkeit wurde uns fast eintätowiert, damit wir es nicht vergessen. Alles sollte glühbirnenfrei werden, sogar Norderney. Zum Kauf wird uns gleichzeitig serviert, wie viel wir mit ihr einsparen können. Auch ich wollte etwas für die Umwelt tun, mich am ökologischen Gewissen beteiligen, wie fast alle. So kam ich zur Notbeleuchtung. Mit der Notbeleuchtung kamen auch die Zweifel. Ich beschäftigte mich etwas intensiver mit dem Leuchtmittel und die Fassungslosigkeit brach aus mir heraus. Sie treibt mich nun in den Baumarkt, in Supermärkte und Discounter, auf der Suche nach der guten alten Birne.

Im Baumarkt stolpere ich fast über ein Schild, das mich an die baldige Abschaffung der Glühbirne erinnert. Nur noch in diesem Monat kann ich sie im Handel erwerben. Danach ist sie in der EU gänzlich verboten. Im Sonderangebot werden sie teilweise verkauft. Ich klemme mir sofort ein Zehnerpack unter den Arm, der ist meins, drehe mich um und laufe fast einen Bekannten um. Er betrachtet mich überrascht, ich scheine derangiert, schaut auf das Paket unter meinem Arm und ich sprudele ungefragt und heftig hervor, spreche mich aus, entlade meine Seele, offenbare ihm hier und jetzt meine große Einfältigkeit und dass ich nicht weiß, wie es so weit kommen konnte mit mir. Wie ich so dumm sein konnte. Mir ist nach beichten. Ich fange sofort damit an. Ich habe Dinge gekauft, die Quecksilber enthalten. Ich habe nicht gefragt, warum das so sein muss und was später mit dem Gift passiert. Ich habe mir dieses Gift freiwillig in die Wohnung geholt, später erfahren, dass die Lampen nicht dicht sind und schlechtes Licht geben sie auch noch. Ganz ohne Rot. Ich bin schuld, wenn Arbeiter bei der Herstellung oder Entsorgung vergiftet werden, weil ich sie kaufe. Wenn ich sie kaufe, dann werden sie für mich produziert.

Zur Rechenschaft werde ich dafür nicht gezogen, schließlich wurde es politisch beschlossen. In Brüssel. Wir werden auf höchster Ebene gezwungen, Schlechtes zu tun. Man lässt uns keine Alternative. Schafft das, was keinen Profit bringt, peu à peu ab. Lässt uns mit dem Gift unaufgeklärt sitzen. Wo bleibt die Moral? Darf etwas mit gutem Gewissen verkauft werden, von dem man weiß, dass es schädlich ist? Rauchen schadet ihrer Gesundheit, diese Warnung kauft man mit der Packung Zigaretten, auf der Schachtel mit der Energiesparlampe steht nichts. Es gibt keinen Warnhinweis, der Kauf dieser Lampe fügt Ihnen und Ihrer Umwelt Schaden zu, und keine Gebrauchsanweisung, was ich im Falle eines Bruches mit ihr machen soll. Aber kaufen kann ich mittlerweile Notfallkits mit Schutzkleidung, Handfeger und einer genauen Beschreibung, wie ich mich in eben jenem Falle zu verhalten habe. Erst mal den Raum verlassen. So schnell wie möglich, um die giftigen Dämpfe nicht einzuatmen. Später alle Reste mit Handschuhen aufsammeln, kleine Scherben mit Klebeband auflesen, bloß keinen Staubsauger benutzen und alles in einen verschließbaren Behälter geben, den wiederum zum Sondermüll geben. Am besten mich gleich dazu.

Ich kaufe also von vornherein Sondermüll. Die Entsorgung ist bis heute ungeklärt. Die kaputten Lampen, auf die eigentlich zehn Jahre Garantie gegeben wird und die schon viel früher nicht mehr starten wollen, gehen auf eine lange Reise durch die Bundesländer. Gift und Elektronikschrott, keiner will sie haben, keiner weiß wohin mit ihnen, irgendwann werden sie geschreddert, das darf nicht gefilmt werden. Ihre Umweltfreundlichkeit hat sich schon längst überholt, ich frage mich einmal mehr, in was für einer Welt ich lebe, in der Irrsinn offiziell angeordnet wird. Und bestehen bleibt. Mein Bekannter mustert mich weiterhin, ich muss ein klägliches Bild abgeben, außer Atem, käseweiß im Gesicht, vielleicht habe ich doch schon zu viel Phenol eingeatmet in den letzten Jahren, welches die Lampen in meiner Wohnung ausgegast haben, und er sagt, ich habe in meinem ganzen Haus nur eine Energiesparlampe und Glühbirnen habe ich im Keller gehortet, die reichen eine Weile. Ich stocke. Also doch nicht alle.

Ich fühle mich noch schlechter, weil ich glaube, alleine auf diesen Irrsinn hereingefallen zu sein und gebe einer Frau neben mir den Tipp, die Großpackung zu kaufen, ist billiger, sie lacht und packt ein. Einige kaufen die gute alte Birne an diesem Tag. Strom wird immer teurer, da nützen die paar Sparleuchten auch nicht. Zu Hause tausche ich alle Birnen aus, weil ich mich damit umweltbewusster finde. Es ist doch so, der Bürger soll sparen, die Industrie prasst. Die in Brüssel sollten sich schlecht fühlen. Und die in Deutschland, die solche Gesetze erlassen wie die Abschaffung der guten alten Birne und die Einführung der Energiesparlampe. Aufgrund ihrer Gefährlichkeit kann diese Lampe hervorragend als Waffe eingesetzt werden. Ist das schon mal jemandem aufgefallen? Wollen Sie eine Bank überfallen? Kaufen Sie Energiesparlampen und halten sie diese dem Angestellten am Schalter unter die Nase, Geld oder Quecksilber. Absurde Gedanken tragen Blüten. So wäre es auch ein Leichtes, einen ganzen Kindergarten in Geiselhaft zu nehmen, mit ein paar Lampen in der Hand und der Androhung, sie in den Raum zu werfen. Durchzudrehen wird einem immer leichter gemacht.

Ich schalte meine umgerüstete Schreibtischlampe an. Ach, ist das ein schönes Licht! Mein Blick geht zur Deckenlampe. Mir fällt etwas auf. Ich gehe durch die ganze Wohnung, ein bisschen Kindheit kommt mit dem alten Licht zurück, ich fühle mich geborgener in meinen vier Wänden und da sind sie wieder, ich staune, dass ich ihre Abwesenheit so lange vermissen konnte, ich ergötze mich an ihnen und ihren unterschiedlichen Mustern: Die Schatten an den Decken und Wänden durch das alte neue Licht sind wieder da!

Vera Pestel

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