Das zweite Wochenende im Oktober war ein typisches Wochenende für die Prostitution. Nicht nur weil in Köln wieder reichlich Taxis in Richtung Hornstraße unterwegs waren. Sondern weil es zwei Schlagzeilen produzierte, die die öffentliche Debatte über Prostitution recht gut zusammenfassen. Am Sonntag berichtete „Spiegel Online“ von rund 250.000 Sklavenarbeiterinnen auf den Strichen und in den Bordellen Europas. Und gegen Ende des Wochenendes rauschte eine „dpa“-Meldung über die Gründung eines „Berufsverbandes für Sexuelle Dienstleistungen“ über den Ticker. So redet man in Deutschland für gewöhnlich über Prostitution: auf der einen Seite die ausgebeutete und verschleppte Armutsmigrantin, auf der anderen die selbstbewusste, für ihre Rechte einstehende Sexarbeiterin.
Dabei müsste eigentlich „vielfältig“ das erste Wort sein, was einem zum Thema einfällt. Zumindest fällt es ziemlich häufig, wenn man mit Menschen redet, die sich beruflich mit Prostitution beschäftigen. „In Köln ist das so bunt wie in jeder anderen Metropole“, berichtet Anne Rossenbach vom Sozialdienst Katholischer Frauen (SKF). Und Heidrun Nitschke vom Gesundheitsamt meint: „Die Szene in Köln ist sehr vielfältig.“ Dahinter steckt eine einfache Feststellung. Zwischen einem angemieteten Zimmer im Großbordell „Pascha“ und den Verrichtungsboxen an der Geestemünder Straße, zwischen dem Straßenstrich im Kölner Süden und den über das Stadtgebiet verteilten Saunaclubs existiert Prostitution in Köln in einer Vielfalt an Lebenslagen, Problemen und Herausforderungen.
Um diese zu bewältigen, müssen alle Beteiligten von Polizei bis zur Sozialarbeit gut zusammenarbeiten. „Das funktioniert gut in Köln“, meint Anne Rossenbach, „wenngleich wir die Zusammenarbeit angesichts neuer Fragen immer wieder weiterentwickeln müssen. Aber das heißt ja auch, dass alle ein Interesse daran haben.“ Eins der Resultate sind die Verrichtungsboxen an der Geestemünder Straße in Niehl. Anfang der Nullerjahre wurden diese aufgestellt, um eine Alternative zum Straßenstrich rund um den Reichenspergerplatz zu bieten. Zusätzlich zu den Boxen bietet die SKF dort eine Anlaufstelle an. Das Projekt wurde mehrfach adaptiert. In Dortmund ist es gescheitert, in Zürich erfolgreich gewesen.
Für den Umgang mit der Prostitution gibt es keinen Königsweg
Offenbar ist es schwer, einen Königsweg im Umgang mit der Prostitution auszumachen. Hinzu kommt, dass über die politische Bewertung nicht immer Einigkeit herrscht. Ob man „Sexarbeit“ oder „Prostitution“ sagt, kommuniziert auch manchmal eine Bewertung der Tätigkeit. Ein anderer Streitpunkt ist die Einschätzung des sogenannten Prostitutionsgesetzes von 2002. Die rot-grüne Bundesregierung hatte damals die Schaffung eines „angemessenen Arbeitsumfelds“ für Prostituierte legalisiert. Diesen sollte so die Möglichkeit gegeben werden, sich zu versichern und Honorare einzuklagen.
Das Gesetz habe lediglich zu einer Öffnung des Marktes geführt, meint dagegen die „EMMA“. Zudem sei damit die Armutsmigration in die Prostitution möglich geworden. Unterstützung findet sie bei Sabine Constabel, die seit über 20 Jahren in Stuttgart mit Prostituierten arbeitet. „Fast 80% sind Armutsmigranten aus Osteuropa“, meint sie und berichtet von traumatisierten Frauen, die teils von der eigenen Familie in die Prostitution nach Deutschland geschickt werden.
„Für unsere Arbeit mit Prostituierten in der Straßenprostitution ist das Prostitutionsgesetz nicht von Belang“, sagt dagegen Anne Rossenbach. Stattdessen sei es wichtig zu differenzieren. Es sei nicht ausgemacht, dass ausgerechnet das Prostitutionsgesetz zu einer Zunahme von Menschenhandel und Sklavenarbeit geführt habe, auch wenn deren Existenz nicht zu leugnen sei. Und Heidrun Nitschke, die schon Anfang der 90er in Frankfurt mit Sexarbeiterinnen aus Südamerika arbeitete, fügt hinzu: „Migration in die Sexarbeit ist kein neues Phänomen. Sie können daran Wirtschaftskrisen und unterschiedliche Gesetzesregelungen ablesen.“
Trotz der unterschiedlichen Einschätzungen – als Erfolg gilt das Prostitutionsgesetz im Allgemeinen nicht. „Nur zu einem sehr geringen Teil“ habe das Gesetz seine Ziele erreicht, schreibt der Runde Tisch zur Prostitution in NRW. „Da ist relativ wenig passiert“, meint auch Anne Rossenbach. Die Ausführungsbestimmungen des Prostitutionsgesetzes haben bei den Kommunen und den Ländern gelegen. Dort habe man sich halt unterschiedlich intensiv darum gekümmert. Die Bundesregierung schlug daraufhin eine Reform vor. Zukünftig sollten sich Bordellbetreiber registrieren lassen, bei Vorstrafen wird die Lizenz für ein Bordell verweigert. „Nicht ausreichend“ befanden die rot-grünen Länder Mitte September im Bundesrat. Jetzt liegt das Gesetz beim Vermittlungsausschuss.
Auch Sabine Constabel ging der Gesetzesentwurf nicht weit genug. Gemeinsam mit der „EMMA“ befürwortet sie das „schwedische Modell“. Dort ist nicht das Anbieten von Prostitution verboten, sondern die Nachfrage. Konkret: Die Freier werden bestraft, nicht die Prostituierten. Der Erfolg der Maßnahme ist umstritten. „Da schlagen sie eine Studie mit einer anderen Studie“, meint Anne Rossenbach.
Aber trotz unterschiedlicher Einschätzungen herrscht bei den Nahzielen weitgehend Einigkeit. Auch Sabine Constabel meint: „Die prostitutionsfreie Gesellschaft ist ein Fernziel. Natürlich ist es sinnvoll, bis dahin regulierend einzugreifen.“ Aber das Problem bei diesen Eingriffen ist, dass es Missstände gibt, die aus der gesellschaftlichen Marginalisierung der Prostituierten rühren und es schwer ist, diese nur mit Gesetzen zu beheben.
Ein Beispiel: In Deutschland gilt eine allgemeine Krankenversicherungspflicht. Trotzdem ist der Zugang zur Krankenversicherung für Prostituierte, von denen nur 1% angestellt arbeitet, weiterhin ein Problem. „Für Selbständige sind die Prämien und Hürden hoch“, meint Heidrun Nitschke. „Selbst viele deutsche Sexarbeiterinnen haben keine Krankenversicherung und wenn, dann oftmals nicht als Sexarbeiterin.“ Ebenfalls sei es schwierig, die medizinische Regelversorgung zu gewährleisten, weil sich nicht alle Prostituierten gegenüber ihren Gynäkologen offenbaren wollten.
Ein ähnliches Szenario stellt sich beim Ausstieg aus der Prostitution dar. „Fast alle wollen da irgendwann raus“, meint Sabine Constabel. Aber der Ausstieg ist schwierig. Künftige Arbeitgeber sehen die Lücken im Lebenslauf, im Pflegebereich, der vielen als geeignet für Prostituierte gilt, wird schlechter bezahlt als in der Prostitution. „Der Ausstieg löst nicht alle Probleme“, meint Anne Rossenbach. „Schließlich verlassen sie auch ein soziales Umfeld.“
Das Umfeld – es ist weit von den nostalgischen Beschreibungen über das „Milieu“ an Friesenwall und Eigelstein entfernt. Die Konkurrenz ist hart, oftmals ist der Eintritt in die Prostitution mit einer finanziellen Notlage oder sozialen Verpflichtungen gegenüber Partner und Familie verbunden. Aber paradoxerweise beschrieben sich viele Frauen dennoch als relativ autonom, erzählt Anne Rossenbach. „Das ist der Unterschied zwischen Fremdwahrnehmung und Eigenwahrnehmung.“ Vielleicht fasst das die Prostitution in Köln gut zusammen. Wer damit zu tun hat, nennt sie „vielfältig“. Aber beim Blick von außen kann daraus auch mal ein „verdammt kompliziert“ werden.
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