Am St. Martinstag riefen unter dem Motto „Den Mantel teilen“ die bekanntesten Kölner Organisationen zu mehr Solidarität mit Flüchtlingen auf und veranstalteten eine Kundgebung auf dem Roncalliplatz am Kölner Dom. Um die 600 Zuschauer versammelten sich und brachten Martinslaternen mit, kamen kostümiert oder waren ausgerüstet mit Schildern wie „Jede Jeck is von woanders“, „Bunt statt Roters“ oder „Refugees welcome“. Das Thema ist aktuell und brennend heiß: Erst vergangene Woche gab es an der Herkulesstraße eine massive Großrazzia in einem Flüchtlingslager, bei der über 600 Polizisten zugegen waren, um 600 Flüchtlinge inklusive 300 Kinder zu durchsuchen.
Der Auftritt von Oberbürgermeister Jürgen Roters war eine Farce und wurde auch vom Publikum so wahrgenommen. Unter lauten Pfiffen und Buh-Rufen betrat der Politiker die kleine Bühne auf dem Roncalliplatz. „Wir haben eine Verpflichtung, verfolgten Menschen Schutz zu bieten“, sagte er und räumte ein, dass die aktuellen Zustände nicht zufriedenstellend seien. Er begründete dies aber mit der zunehmenden Anzahl an Flüchtlingen, die nach Köln kämen, und der damit verbundenen, logistischen Herausforderung. „Wir wollen eine menschenwürdige und dezentrale Unterbringung erreichen“, so Roters. Ein Zuschauer brüllte dazwischen: „Was tut ihr denn dafür?“, immer wieder begleiteten Pfiffe und verärgerte Zwischenrufe die Rede. Der SPD-Politiker betonte, dass der Wohnraum in Köln leider sehr begrenzt wäre und es an finanziellen Möglichkeiten fehle, um neue Unterkünfte zu erschließen. Als Herr Roters seinen kurzen Vortrag beendete, verabschiedete ihn ein Chor lauthals mit den Worten „Heuchler, Heuchler, Heuchler!“.
Der Rede des Oberbürgermeisters mangelte es an konkreten Plänen zur Bekämpfung der aktuellen Flüchtlingskatastrophe und setzte sich aus leeren Phrasen zusammen. Es war fast schon zynisch, Roters auf dieser Veranstaltung vorsprechen zu lassen. Schrieb er doch erst letzte Woche einen Brief an den NRW-Innenminister Ralf Jäger, in dem er darum bat, keine weiteren Flüchtlinge mehr in Köln aufzunehmen.
Kritik kam nicht nur von den Zuschauern: Auch der Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats, Claus-Ulrich Prölß, kritisierte die Politik der Stadt. „Es fehlt am politischen Willen, geeignete Wohnungen zu bauen“, betonte er und erhielt dafür den Applaus des Publikums. „Es kann nicht sein, dass Flüchtlinge in alten Hotels, Massenunterkünften oder Turnhallen untergebracht werden“. Es ständen in Köln genug Flächen zur Verfügung, auf denen man menschenwürdige Unterkünfte bauen lassen könne. Zugleich lobte er das Engagement der vielen Kölner Bürgerinitiativen, die sich für die Flüchtlinge einsetzen, aber kritisierte auch die mangelnde finanzielle Unterstützung seitens der Stadtverwaltung.
Neben bekannten Organisationen wie dem Schauspiel Köln oder der Oper Köln, traten auch Bands wie die Höhner und Brings auf. Als Überraschungsgast kamen die Bläck Fööss auf die Bühne. Dem Kabarettist Wilfried Schmickler gelang es mit einer derben Rede das Publikum für die Situation der Flüchtlinge zu sensibilisieren.
„Jede Jeck is anders“ - das ist nicht nur ein Spruch Kölscher Karnevalisten, sondern ein Stück Lebensgefühl und Überzeugung. So wundert es nicht, dass die Kölner leidenschaftlich protestieren, wenn dazu aufgerufen wird, für Menschenrechte und Mitgefühl gemeinsam einzustehen. Der Schock über die eskalierte Hooligan-Demo am 26.10. sitzt immer noch tief, weshalb Zeichen für Solidarität und Toleranz aktuell besonders wichtig sind.
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