Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 31

12.553 Beiträge zu
3.784 Filmen im Forum

„Christian“ (Ausschnitt)
Foto: Bettina Flitner

Der Prostitution ins Antlitz geschaut

24. September 2014

Die Internationale Photoszene zeigt Bettina Flitners Porträtserie – Kunst in NRW 09/14

Bettina Flitner ist eine mutige Frau. Sie hat im Kongo fotografiert und in der Szene der Neonazis, jetzt hat sie den Freiern in einem luxuriösen Wellness-Bordell die Zunge gelöst, mit der Frage: „Warum sind Sie hier?“. In der Redaktion des STERN hatte man ihr prophezeit, dass so etwas niemals funktionieren würde. Warum sollten die Freier reden? Während der Reportage stellte sich dann schnell heraus, dass nur die ausländischen Freier Reißaus nahmen. Die Offenheit, mit der die deutschen Männer zwischen 23 und 73 über ihre Erfahrungen und Vorlieben sprechen, mag von Angeberei zeugen, aber die Gespräche mit Bettina Flitner versachlichen auch manche Aspekte der Geschlechterverhältnisse.

Im Bordell wird aus der sexuellen Frustration der Männer und der Not der Frauen – meist Osteuropäerinnen, die sich in der Gewalt von Zuhältern befinden – die Allianz der Prostitution geschmiedet. Bettina Flitner rückt die Realität dieser Welt an uns heran, indem sie ihre Körperlichkeit zeigt. Die Männer treten uns fast nackt gegenüber. Auf der Bettkante sitzend, blicken sie uns frontal entgegen. Die vergrößerten Bilder werden im Rahmen der Internationalen Photoszene Köln in der Galerie der Laif Agentur gezeigt. Das Licht in dem backsteinroten Kellerraum, kommt dem plüschigen Rot des Bordellzimmers, in dem sie geschossen wurden, sehr nahe.

Bilder haben die Angewohnheit, zurückzuschauen, während sie betrachtet werden. Ein Aspekt, der in dieser Serie zum zentralen Thema wird. Die Männer schauen uns an, und es stellt sich unweigerlich die Frage, wie wir es denn eigentlich mit unseren sexuellen Bedürfnissen halten. Eine Frage, die erst recht durch die kurzen Textzitate aufgeworfen wird, in denen die Freier Bettina Flitners Frage beantworten. Das Projekt stellt sich denn auch nicht als Sozialreportage dar, sondern reflektiert die Ambivalenz seines Themas. Man erhält eine Ahnung von der zementierten Verachtung, die in der sexuellen Ausbeutung als einer modernen Form der Sklaverei liegt. Andererseits verbirgt sich im Sujet stets die archetypische Phantasie einer verlockenden Bordellsituation. Bettina Flitner beschreibt denn auch anschaulich die Situation, in der die Männer im Kontakthof in winterlich dicken Mänteln gekleidet sind, während die Frauen ihnen nackt auf High Heels begegnen.

Bettina Flitner treibt das Spiel sogar um eine Drehung weiter, indem sie sich selbst nicht ausnimmt von dem Vexierspiegel der Prostitution. Sie, die von außen kommt, scheinbar nur als Beobachterin, wird bald als „das Mädchen vom STERN“ im Haus geführt. In ihrer brillant geschriebenen Reportage „Meine Tage im Puff“, in der sie die Entstehung der Bildserie beschreibt, lässt sie sich sogar mit einem Freier fotografieren. Sie negiert ihre Rolle als Frau nicht, auf die sich die Begierde der Männer richtet. Das, was sich zwischen Männern und Frauen abspielt, steckt voller Widersprüche, die will sie nicht durch demonstrative Political Correctness glattbügeln.

Und weil sie diese Situation, in der Männer Frauen kaufen, nicht voreilig mit Etiketten versieht, öffnet sich das Sujet auch der Tatsache, dass es diese Situation schon so lange gibt, wie menschliches Zusammenleben in Gruppen existiert. Dass Deutschland den zur Zeit freizügigsten Umgang mit der Prostitution in Europa pflegt, ist allerdings weniger der verantwortungsvollen Liberalität als vielmehr den ökonomischen Interessen des Staates geschuldet. Bettina Flitners Bildserie dringt bis ins Mark unseres gesellschaftlichen Selbstverständnisses vor, und sie regt dazu an, mutig in den Diskurs der Geschlechter einzusteigen.

Freier | bis 10.10. 2014 | Laif Galerie | Köln Merowinger Str. 5-7

Thomas Linden

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Kung Fu Panda 4

Lesen Sie dazu auch:

Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24

Vom Älter Werden
Ein „Blick in die Zeit“ in der Photographischen Sammlung

Ohne Filter
„Draussensicht“ in der Oase – Kunstwandel 01/24

Ereignisreiche Orte
Simone Nieweg in der Photographischen Sammlung der SK Stiftung im Mediapark – kunst & gut 11/23

Sehen in Lichtgeschwindigkeit
Horst H. Baumann im Museum für Angewandte Kunst – kunst & gut 10/23

„Pathos entzaubern, indem man es zur Diskussion stellt“
Der künstlerische Leiter und Kurator Marcel Schumacher über Aktuelles im Kunsthaus NRW – Interview 07/23

Lichterfüllte, funktionale Orte
Lucinda Devlin mit einer Werkschau in der Photographischen Sammlung – kunst & gut 04/23

Formen und Strukturen
Drei Alfred Ehrhardt-Programme im Filmhaus – Film 04/23

Ein Star unter den Fotografierten
Max Ernst auf Fotografien in seinem Museum in Brühl – kunst & gut 03/23

Orte in der geformten Landschaft
Sammlungspräsentation Teil 2 der SK Stiftung Kultur – kunst & gut 10/22

Tradition und ihre Gegenwart vor einigen Jahrzehnten
Raghubir Singh im Fotoraum des Museum Ludwig – kunst & gut 09/22

Sammlung ordnen
Porträt, Landschaft und Botanik in der Photographischen Sammlung – kunst & gut 06/22

Kunst.

Hier erscheint die Aufforderung!