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Judith Rosmair in „Supernerds“ im Depot 1
Foto: David Baltzer

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25. Juni 2015

Angela Richter inszeniert mit „Supernerds“ einen transmedialen „Überwachungsabend“ – Auftritt 07/15

„Wer von Ihnen würde seine Daten rausgeben für mehr Sicherheit im Staat?“ lautet die Frage. 97 Prozent der „Supernerds“-Besucher stimmen mit „nein“, was niemanden überrascht. Verwunderlich aber, dass jeder von ihnen doch seine Daten preisgab. Für diesen „Überwachungsabend“, so der Untertitel, musste man sich nämlich akkreditieren mit Adresse, Mobilfunknummer und Facebook-Profil. Sorgen bräuchte man sich nicht zu machen, alles werde wieder gelöscht. Wenigstens eine gute Nachricht für die Kunst: Das Vertrauen ins Theater scheint größer als das in Regierung(en) und Konzerne.

In einem von NSA, BND oder Google überwachten Staat will zwar niemand leben, aber sein Kommunikationsverhalten den Bedrohungen anpassen, will man auch nicht – ganz zu schweigen davon, sich öffentlich aufzulehnen. Was sogenannten Whistleblowern droht, wissen wir: langjährige Haftstrafen wegen Landesverrats. Angela Richter hat sich in den letzten Jahren mit den prominentesten von ihnen getroffen. Aus den Interviews hat sie ein Buch, die Doku „Digitale Dissidenten“ und eben diesen Theaterabend im Depot entwickelt, der mit viel medialem Brimborium geschmückt ist. Neben einem Suddenlife-Game, wo man sich zum Spionagekomplizen machen konnte, und einem Livestream im Internet wurde aus einem provisorischen Studio des WDR-Fernsehens übertragen. Journalist Richard Gutjahr und Moderatorin Bettina Böttinger befragten parallel zur Aufführung Netzexperten oder ließen die Fernsehzuschauer über den Fortgang des Stücks mitentscheiden. Natürlich nur im erwartbaren Rahmen, denn Fernsehen ist nicht Theater. Das Stück muss schließlich auch ohne TV-Zuschauer, Böttinger oder Live-Schalte reproduzierbar sein. Von all dem bekommt der Theaterzuschauer nur dann etwas mit, wenn ab und an auf den Screen auf der Bühne geschaltet wird oder der Journalist Richard Gutjahr Klingel-Spielchen mit den im WLAN eingewählten, gehackten Zuschauer-Handys anleiert.

Das Bühnengeschehen selbst ist also nur ein Teil des ganzen Medien-Stücks. Das ist insofern schlau, als Richter möglichst viele Menschen für das Thema mediale Massenüberwachung sensibilisieren will. „Wir machen Konterpropaganda für den Mainstream“, twitterte die Regisseurin. Im Fokus des Stücks stehen die Whistleblower: Chelsea, ehemals Bradley Manning, die amerikanische Kriegsverbrechen im Irak über WikiLeaks enthüllte, Daniel Ellsberg, Edward Snowden und Julian Assange. Abwechselnd tretendie Darsteller aus einer Masse von Schaufensterpuppen und Politiker-Pappfiguren in Comiclook hervor. Mal sprechen sie abgeklärt ins Publikum, mal flüstern sie zurückgezogen in ein Mikrophon, mal wippen sie manisch auf einem riesigen Schaukelpferd. Nikolaus Benda, Yuri Englert, Judith Rosmair, Malte Sundermann und Birgit Walter schaffen einen erstaunlichen Spagat zwischen einer natürlichen Haltung, einer Entpsychologisierung der Figuren und der Abstraktion des Themas. Zappelnd, tanzend oder kauernd wirken sie wie tickende Bomben mit gekappter Zündschnur.

Das erinnert an Julian Assange, der in einem winzigen Zimmer in der ecuadorianischen Botschaft in London festsitzt. Er wird später als 3D-Hologramm auf die Bühne projiziert und feiert den Kollaps des Systems als optimistische Strategie gegen den „Geheimdienstkrebs“. Assange wird hier wie ein Messias inszeniert – etwas viel Idealisierung dieser „Heldenfigur“, doch für mächtig Medienrummel war dieser Clou allemal gut. Zugegeben, für einen halbwegs aufgeklärten Menschen dürften sich keine neuen Fakten ergeben haben. Die Ausspäh-Spiele mit den Handys, die rechts- oder linksrheinisch lebende Zuschauer aufspüren oder Facebook-Infos Einzelner aufzählen, wirken eher harmlos. Den großen Schrecken über technologische Spyware-Möglichkeiten bleiben Richter und Team uns schuldig. Sie schlagen der drohenden Simplifizierung des hochbrisanten Themas dennoch ein Schnippchen. Dass selbst die Wissenden mit jedem Klick ein Stück von ihrer Privatsphäre abknipsen, dürfte nur der Beginn einer technologisch ferngesteuerten Gesellschaft sein. Auch das „Nein“ von 97 Prozent gegen das digitale Blankziehen war eben nur durch die digitale Spur eines Klicks zu haben.

„Supernerds” | R: Angela Richter | keine weiteren Termine | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00

ROMY WEIMANN

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