Wohin bewegt sich die musikalische Szene „an der Schnittstelle zwischen Ambient, Techno und Contemporary Classic“? Bleibt sie ein gerne selbstreferentielles Minderheitenprogramm oder bietet sie einen über sich selbst hinausweisenden Mehrwert, der die Hörgewohnheiten auch breiterer Publikumsschichten zu erweitern weiß? Ansätze zur Befriedung des entsprechenden Wissensdurstes gab es zuhauf, an drei Abenden in der Basilika St. Aposteln, in Sichtweite zum Neumarkt. Bereits zum siebten Mal wurde sie dort vom Veranstalter E’de Cologne initiiert: die „Zivilisation der Liebe“! Wer hier die längst überkommenen Kategorien von U-und E-Musik progressiv vermischt, der appelliert auch an die „Transzendenz der Musik“, so der Gegenstand des begleitenden Symposiums. Oder auch an „Gaudium et spes“, Freude und Hoffnung, wie das Leitmotiv der Veranstaltung vollmundig verkündet. Trotz der vielleicht etwas zu gewollt proto- oder pseudoreligiösen Anmutung: Auf der Abschlussveranstaltung präsentierte sich eine heterogene Szene überwiegend von ihrer attraktivsten Seite.
Den Anfang macht in dem spätromanischen Gotteshaus der kanadische Klangmystiker (und „Franz Liszt der Moderne“) Lubomyr Melnyk am Flügel. Schlicht ergreifend, wie er mit seiner erstaunlichen Technik der Anschlagsschnelligkeit simultan den Eindruck von meditativer Langsamkeit verleiht, seine mitunter betörende Melodik mit virtuos dargebotenen Spannungsbögen verbindet, die durchweg Schönes und Erhabenes (und Gänsehaut) evozieren. Werden seitens eines kundigen und zunehmend begeisterten Publikums anfangs noch Namen wie Michael Nyman oder auch Steve Reich zur musikalischen Kategorisierung hinzugezogen, verstummen diese Vergleiche rasch – angesichts einer Darbietung, die lange nachhallen dürfte – „continuous music“ eben, die sich von dem tradierten Korsett der seriellen Musik längst emanzipiert hat. Es folgt das „Ensemble-Son-Et-Lumière“. Mit Pauken, Trompete, Orgel (und konzeptionell durchdachter Lichtinszenierung) offenbaren die Ausführenden Meditation mit Tiefgang. Harmonisch, bisweilen hypnotisch, dann wieder kraftvoll und sagenhaft rund, ein würdiges Intermezzo!
Abschließend kommt der Düsseldorfer Volker Bertelmann alias Hauschka zum Zuge, der auf einzigartige Weise seine Klaviatur mit unkonventionellen Objekten präpariert. Wie schon auf seinem viel gerühmten Album „Ferndorf“ von 2008 oder auf seinem jüngsten, dezidiert perkussiven Longplayer „Salon des Amateurs“: Hauschka schafft mitunter Brüche, die er selbst nicht auszuhalten vermag oder denen er selbst (noch) nicht so recht traut. Dann gleitet er ins allzu Gefällige ab, wobei er scheinbar bewusst mit einem Hang zur Süßlichkeit (oder, lt. eigener Aussage mit dem Dancefloor) kokettiert. So sehr auch zuletzt seine viel beachtete Zusammenarbeit mit dem Regisseur Kevin Rittberger („Puppen“ am Schauspielhaus Düsseldorf) und am heutigen Abend das Zusammenspiel mit seinem brillanten Perkussionisten überzeugen konnten: Es drängt sich in den schwächeren Momenten der Verdacht auf, dass der Musiker bereits seine Marke pflegt und seine noch frischen Lorbeeren verwaltet, eine Attitüde, die einem Lubomyr Melnyk oder etwa den an den Abenden zuvor aufgetretenen Peter Broderick und Sylvain Chauveau vermutlich fremd bleiben dürfte. Ein persönliches Geschmacksurteil, das angesichts eines dankbaren Publikums nicht unbedingt jene Konsensfähigkeit für sich beansprucht, an der sich Hauschka vielleicht etwas zu bereitwillig orientiert. Zum viel umjubelten Grande Finale begibt sich dann noch einmal Lubomyr Melnyk an den Flügel, um mit Hauschka kongenial zu harmonieren.
Letztlich wird aber auch dieses qualitativ hochkarätige, stimmungsvolle und durchgängig facettenreiche Festival nicht dazu beitragen, dass „Ambient“ zum Stadionrock mutiert. Und dies ist auch gut so, so es darum geht, dass sich musikalische Grenzüberschreitungen und Schubladenverweigerungen auch weiterhin keinem kommerziellen Zwang zum kreativen Kompromiss unterwerfen müssen. Bleibt zu hoffen, dass auch musikalisch vergleichbare Veranstaltungen wie zum Beispiel die „Broken Sound“-Reihe im Kölner Stadtgarten oder das „Phobos“-Festival in der Wuppertaler Sophienkirche Kennern und Musikliebhabern ohne Berührungsängste erhalten bleiben.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Das Gesamtwerk pflegen
Haydn-Festival 2025 in Brühl – Musik 07/25
Bis das Regime gestürzt ist
Mina Richman bei den Stadtgartenkonzerten am Alten Zoll in Bonn – Musik 07/25
Für stille Momente
Das Even Flow Festival am Tanzbrunnen – Festival 06/25
Anruf der Legenden
JD McPherson im Luxor – Musik 05/25
Entgegen der Erwartung
4. stARTfestival der Bayer AG in Leverkusen – Festival 04/25
Einstürzende Musikbrücken?
Die 15. Ausgabe von Acht Brücken könnte die letzte sein – Festival 04/25
Die Musikfestivals sprießen
Schon der Frühling ist Festivalzeit – Unterhaltungsmusik 04/25
Salz, Wind und Liebe
Anna B Savage im Bumann & Sohn – Musik 03/25
Altmeister und Jungspunde
Konzerte von und für alle Generationen – Unterhaltungsmusik 03/25
Ein bisschen schweben
Tunng im Gebäude 9 – Musik 02/25
Wärme, Nähe, Authentizität
Noah Derksen in den Hängenden Gärten von Ehrenfeld – Musik 02/25
Klavier statt Karneval
Ein Februar mit guter Musik – Unterhaltungsmusik 02/25
Im Kostüm der Sozialkritik
Oliver Anthony im Carlswerk Victoria – Musik 01/25
Nicht alle sind supersympathisch
(Kinder-)Geburtstags- und Weihnachtsfeiern on Stage – Unterhaltungsmusik 12/24
Befreiung durch Verwandlung
Laura Totenhagen im Stadtgarten – Musik 11/24
Zurück zur Straßenmusik
Dan & Dota in der Kantine – Musik 11/24
Noise, Rap und Migration
Zwischen Bühne und Buchdeckel – Unterhaltungsmusik 11/24
Endlich Wochenende
13. Week-End Fest im Stadtgarten – Musik 10/24
Psychedelische Universen
Mother‘s Cake im Helios 37 – Musik 10/24
Aggressive Dringlichkeit
Internationale Acts von Rock über Hip Hop bis Avantgarde – Unterhaltungsmusik 10/24
Eine Party für die Traurigen
Romie in der Maulvoll Weinbar – Musik 09/24
Heftiger Herbstauftakt
Nach Open Air wieder volles Programm in Clubs und Hallen – Unterhaltungsmusik 09/24
Kein Bock auf Sitzkonzert
Mdou Moctar im Gebäude 9 – Musik 08/24
Sommerloch? Nicht ganz ...
Volle Packung Drum‘n‘Bass, Indie, Tuareg-Blues und Black Metal – Unterhaltungsmusik 08/24
Fette Beats im Wohngebiet
Green Juice Festival 2024 in Bonn – Musik 07/24