Die Kreativität wird’s schon richten. So lautete das Credo der letzten zehn Jahre. Als „Kreativwirtschaft” galt sie als Zukunftsbranche, der Ökonom Richard Florida sah im Zuzug der „Kreativen Klasse” ein Mittel zur Revitalisierung vom Strukturwandel gebeutelter Städte. Nun hat Florida selbst seine Einschätzungen relativiert. Zwar sei es weiterhin richtig, dass Städte nicht ohne den Zuzug seiner „Kreativen Klasse“ zukunftsfähig sind. Aber es gebe keinen „Trickle-Down-Effekt“ – im Gegenteil. Die Löhne steigen zwar selbst außerhalb der „kreativen“ Branchen, aber wegen steigender Lebenshaltungskosten profitiert nur das am besten qualifizierte Drittel der Beschäftigten davon. Der Zuzug der „Kreativen Klasse“ verschärft also die Ungleichheit in den Städten – so wie es die Kritiker von Florida immer vermutet haben.
Aber es ist schwierig, Floridas Schlussfolgerungen eins zu eins zu übertragen. Seine „Kreative Klasse“ umfasst Rechtsanwälte und Softwaredesigner ebenso wie klassische Kreativberufe, z. B. Designer oder für Medien Arbeitende. Wenn man in Deutschland von „Kreativwirtschaft“ spricht, meint man aber nur Kreativbranchen wie Film, Design oder Musik. Und die Kölner Film- und Fernsehbranche für den Anstieg der Mieten in der Domstadt verantwortlich zu machen, greift dann doch zu kurz. Nicht allein deshalb, weil die Kreativwirtschaft in Köln schon länger zu Hause ist. Trotzdem gibt es einen Zusammenhang mit der Stadtplanung: Zwei große Bauprojekte – der Rheinauhafen und der Mediapark – sind mit den Bedürfnissen der Kreativbranche begründet worden, beim 4711-Haus in Ehrenfeld wurde die Nutzung finanziell vom Land NRW und der Stadt Köln unterstützt. Die Entwicklung ist jedoch unterschiedlich. Im Mediapark hat die Gesundheitswirtschaft die Kreativwirtschaft verdrängt. Nach dem Wegzug der Plattenfirma EMI sind lediglich das Cinedom und die SK Stiftung Kultur noch als prominente Nutzer aus dem Kulturbereich sichtbar. Im Rheinauhafen haben sich – wie beabsichtigt – rund um den Deutschlandsitz der Computerspielfirma Electronic Arts eine Reihe von PR-Agenturen und Designbüros angesiedelt. Aber auch hier sind die goldenen Jahre vorbei. Electronic Arts hat weltweit 10% seiner Belegschaft entlassen. In beiden Fällen trifft zu, was Kritiker dem Diskurs um die „Kreative Klasse” immer vorgeworfen haben: Die Kreativwirtschaft inklusive prominenter Ankermieter dient als Vehikel zur Aufwertung eines ehemaligen Gewerbegeländes und der umgebenden Wohngegenden. In der Nähe eines Güterbahnhofs zu wohnen,ist nicht sonderlich attraktiv, aber neben einem Kreativzentrum?
Beim 4711-Gebäude in Ehrenfeld ist das ein wenig anders. Als es im Sommer 2009 eröffnete, sollte es Ehrenfeld als Standort für kleine und mittelgroße Kreativwirtschaftsfirmen etablieren. Das Musikmagazin „Intro“ samt Ableger, das Gebäude 9, selbstständige Grafikdesigner und PR-Büros sowie die c/o pop bezogen hier zu subventionierten Mieten ihre Büros. Dreieinhalb Jahre später ist die Förderung ausgelaufen, und von dieser Liste ist nur der „Intro“-Verlag übriggeblieben. Stattdessen residiert dort jetzt auf mehreren Etagen die etablierte Filmproduktionsfirma Filmpool.
Denn wie andere Branchen ist auch die Kreativwirtschaft ein Markt mit ein paar Gewinnern und vielen, die sich in prekärer Vollbeschäftigung durchschlagen. Als „große“ und „kleine“ Kreativwirtschaft bezeichnet der Ökonom Michael Söndermann diese Entwicklung: Zwei Drittel der Kreativwirtschaftsfirmen, darunter viele Selbstständige, erzielen einen Umsatz von lediglich 17.500 Euro jährlich. Diese Verteilung muss nicht zwangsläufig vom Publikumserfolg abhängig sein. Zum einen sind viele Kreativjobs outgesourcte Dienstleistungsjobs für größere Unternehmen. Die Mitarbeiterzeitschrift wird z. B. von einem Journalistenbüro anstatt von der hauseigenen PR-Abteilung gemacht. Zum anderen wird Einkommen auch über geistiges Eigentum generiert. In der Musikindustrie ist die Lizensierung von Musik der am stärksten wachsende Bereich – große Musikverlage sind so schlicht aufgrund ihres Portfolios im Vorteil.
So langsam kommen diese Fakten auch in der Landespolitik an, in der die Kreativbranche jahrelang unkritisch als „Zukunftsbranche“ gehypt wurde. Viele KreativarbeiterInnen können „aus dieser Arbeit kein für unsere Gesellschaft übliches selbstständiges Einkommen erzielen“, schreiben die Autoren des „Kreativ-Reports NRW 2012“. Gerade die großen Kreativwirtschaftsunternehmen wie Bertelsmann (Gütersloh), WDR und RTL in Köln oder Werbefirmen wie BBDO und Grey (Düsseldorf) generieren den Großteil der 35,8 Milliarden Euro Umsatz. Und auch die Effekte der Finanzkrise scheinen überwunden: 2011 ist der Umsatz erstmals wieder auf Vorkrisenniveau angelangt. Die Anzahl der Beschäftigten hat dieses Niveau bislang noch nicht wieder erreicht, dennoch sei die Kreativwirtschaft „besser als andere Branchen” durch die Krise gekommen, so die Autoren des „Kreativ-Reports“. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen sind öffentliche Institutionen ein vergleichsweise krisensicherer Abnehmer für viele Kreative. Zum anderen hat dieser Effekt mit der Kreativarbeit selbst zu tun. Wo die Produktion in „klassischen“, kapitalintensiven Industrien durch fehlende Möglichkeiten zur Kreditaufnahme ins Stocken geraten kann, wird bei Kreativarbeitern einfach der Faktor Arbeit belastet. Man sitzt für den gleichen Lohn halt zwei Stunden länger am Rechner. Und zumindest hier ist die Kreativbranche dann endgültig in der gesellschaftlichen Mitte angekommen.
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