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„Der Kirschgarten“
Foto: Thilo Beu

Der Bagger fürs Obst

28. Juni 2012

Tschechows „Der Kirschgarten“ in den Bonner Kammerspielen - Theater am Rhein 07/12

Ein Haus ohne Möbel. Ein weißer Salon.Der titelgebende Kirschgarten von Anton Tschechow ist in der Bonner Inszenierung von Klaus Weise nicht zu sehen. Stattdessen gibt es laufende Bilder aus vergangenen Zeiten, Landschaften, Visionen. Alles in Weiß, doch so richtig unschuldig ist in diesem Stück eigentlich niemand. Das Landgut von Ranewskaja (Katharina von Bock) steht vor der Zwangsversteigerung. Die kehrt mit Kind und Kegel aus Paris zurück, wo sie das Geld mit vollen Händen ausgegeben hat. Zurück in die Heimat, zurück zum heißgeliebten Kirschgarten.

Weise inszeniert das letzte Drama von Tschechow, das dieser selbst Komödie nannte, gekonnt mit harten Schnitten, ansehnlicher Choreografie und mit einigen Videostreams im leeren Raum. Der Abend wird nie langweilig. Quietschende Stiefel des jungen Kontoristen Epichodow (Arne Lenk) brechen am Anfang als Running Gag die düstere Stimmung, später wird Maria Munkert als Gouvernante Charlotta diese Aufgabe übernehmen.

Dabei scheint noch nicht alles verloren. Der geschäftstüchtige Kaufmann Lopachin (Ralf Drexler), der sich selbst als Bauer bezeichnet, hat einen Rettungsplan. Der Kirschgarten würde abgeholzt und so Land für Ferienhäuser freigemacht. Auch das Gutshaus sollte abgerissen werden. Irgendwie scheinen seine Ideen in den Köpfen der adligen Schar gar nicht anzukommen, sie bleiben seltsam unerwidert. Stattdessen berauscht man sich an Erinnerungen und Festivitäten. Firs, der uralte Diener (Tanja von Oertzen), der im Gut alleine die Stellung gehalten hat, wird eigentlich zur einzigen tragischen Figur in den 150 Minuten, sorgt sich ständig um die Gesundheit von Ranewskajas Bruder Gajew (Bernd Braun), der eigentlich nur Billard im Kopf hat.

Tschechow zeigt eine Gesellschaft, die mit der veränderten Welt nicht mehr klarkommt, Weise zeigt einen Stand, der hocherhobenen Hauptes in den Untergang geht – oder doch nicht? Da gibt es ja noch die Tante, die Geld locker macht, um das Gut zu retten, doch irgendwie ist das dafür zu wenig, aber ausreichend für die Bagage für einen Trip zurück nach Paris. Das Gut kauft Lopachin, er schmeißt den dekadenten Haufen einfach hinaus. Firs wird vergessen, er stirbt, während die Bagger videomonumental anrollen. So weit weg scheint die Szenerie in der Zeit gar nicht gewesen zu sein. Das schafft Weise auch mit der Figur der Gouvernante Charlotta, die mal als Zauberer und mal als Varieté-Girl auftritt. Maria Munkert bricht so die Handlung, schafft nebenbei eine Atmosphäre des Clownesken und konterkariert die Charaktere.

Lustig ging es eben zu am Kirschgarten. Alle Liaisons haben irgendwie auch nicht geklappt, die damals aufkeimenden neuen Ideen des Kommunismus hat Weise auch vorzüglich über den Studenten (Konstantin Lindhorst) untergebuttert. Deppert geht die Welt zugrunde: „Man muss schon sagen, unser Leben ist ziemlicher Quatsch“. Das Zitat passt. Nur Lopachin scheint Gewinner zu sein. Doch glücklich schien der Mensch nicht mit seinem Haufen Geld. Und das ist ein gutes Ende.

„Der Kirschgarten“ I Sa 30.6. 19.30 Uhr I Kammerspiele Bonn I 0228 77 80 08 22

PETER ORTMANN

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