Ein Polizist wurde auch im Publikum gesichtet. Nicht, weil in der Studiobühne ein Kriminaltatbestand erfüllt oder auf der Bühne Gefahr im Verzug gewesen wäre. Das Stück „eins.eins.null.“ handelt von der Polizei: vom Alltag der Polizisten, ihren Aufgaben, ihrem Ansehen, von Frust und schlechtem Kaffee. Der junge Regisseur Niklas Schulz hat für seine erste Inszenierung Texte von der Homepage „Polizeipoeten“ verwendet, auf der Polizisten mit Texten unterschiedlicher Genres ihr Tun beschreiben und reflektieren. Da wird über eine Demo gegen die Castor-Transporte berichtet und der hochaggressiven Stimmung, die plötzlich in nackte Gewalt umschlägt. Am Ende liegt ein Polizist im Krankenhaus mit dem Blut eines Demonstranten am Schuh, und er fragt sich nach dem Sinn der Aktion. Oder zwei Uniformierte müssen schweigend der Trauer eines jungen Paars zusehen, dessen sechsjährige Tochter gerade ertrunken ist. Diese Erfahrungs- und Selbstbefragungstexte werden aus dem Off eingespielt, während drei Schauspieler im schwachen Gegenlicht fast still verharren. Die Drastik der Texte ist darstellerisch nicht zu interpretieren. Die Polizei bleibt aber auch das Fremde, Abwesende, das als körperlose Stimme über allem schwebt – wie immer man das deutet.
Verblüffend ist dann aber die zwischen Ironie und Hilflosigkeit schwankende Haltung des Trios: Man posiert mit Demogesten, mokiert sich mit Schmähungen und Sarkasmen über die „Bullen“ („Hallo! Der schwarze Block hat auch Gefühle!“), veranstaltet ein heiteres Polizeiserienraten. Ein bisschen selbstreferentielles Diskutieren über die Produktion darf auch nicht fehlen. Die drei agieren in einem Geviert aus Absperrgittern und -band. Ein Käfig, der die Darsteller weniger einsperrt als sie zu Behüteten macht, die sogar mit einem ferngesteuerten Polizeiauto spielen. In harschem Kontrast dazu dann eine realistisch ausgespielte Folterszene: eine Anspielung auf die Anordnung von Polizeipräsident Daschner, aus dem Kindesentführer Markus Gäffgen Infos über den kleinen Jakob Metzler herauszupressen. Niklas Schulz gelingt eine verblüffend gut durchrhythmisierte Aufführung, die mit wirkungsvollen Kontrasten arbeitet und nicht in Klischees verfällt – nur gelegentlich etwas zu polizeifreundlich ist.
„eins.eins.null.“ | R: Niklas Schulz | Studiobühne | 25.-29.4., 20 Uhr | 0221 470 45 13 | www.studiobuehne-koeln.de
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