Der zynische Comedian Henry McHenry (Adam Driver) findet in der zarten Opernsängerin Ann (Marion Cotillard) die große Liebe. Damm kommt der Nachwuchs. Und die Probleme… Leos Carax hat generell eine Neigung zum Überkünstlichen, Übergroßen. Wahrscheinlich ist das der Grund dafür, warum er im Schnitt nur alle zehn Jahre einen Langfilm fertigstellt. Nach zwei Filmen in den 80er-Jahren stockte es schon bei der Produktion des opulenten „Die Liebenden von Pont-Neuf“ (1991). „Pola X“ erschien 1999, „Holy Motors“ 2012 und nun „Annette“ (Cinenova, OmU in der Filmpalette, in den Lichtspielen Kalk und im Odeon), sein erster englischsprachiger Film – ein Musical. Doch auch wenn die Entwicklung von den tanzwütigen „Liebenden“ über den hermetischen „Holy Motors“ mit einem Auftritt von Kylie Minogue und einem Song der Sparks logisch erscheint, kam die Idee zu dem Musical nicht von Carax, sondern von eben jenen Sparks. Klar klingt die Musik der Sparks nach Musical! Natürlich passt auch Carax‘ Inszenierungsstil perfekt zu einem Musical. Und selbstverständlich ist hier nichts gewöhnlich, sondern wir erleben in gut zwei Stunden, wie die Protagonisten von einem beflügelten „We love each other so much“ bis hin zu einem tieftraurigen, ernüchterten „Now you have nothing to love“ in den Abgrund geschritten sind. Einige bleiben dabei ganz wörtlich auf der Strecke, andere werden ausgenutzt und missbraucht. Die toxische Männlichkeit nimmt hier einen Ehrenplatz ein, die skandalhungrige Medienwelt applaudiert. Einer der wenigen Hoffnungsschimmer ist die Selbstermächtigung der Titelheldin, die in einem so berührenden wie verstörenden Finale mündet, in dem auch der irritierendste Kunstgriff dieses zwar plakativen, an Finessen aber nicht armen Filmes plötzlich eine zwingende Logik offenbart.
Außerdem neu in den Kinos: Maggie Gyllenhaals Literaturverfilmung „Frau im Dunkeln“ (OmU im OFF Broadway), Jakob Zapfs besinnliche Tragikomödie „Eine Handvoll Wasser“ (Filmhaus, am Donnerstag mit dem Regisseur), Srdjan Dragojevics philosophische Religionskomödie „Der Schein trügt“ (Filmhaus, OmU in der Bonner Kinemathek), Stefan Jägers historisches Drama „Monte Verità - Der Rausch der Freiheit“ (Cinenova, OFF Broadway) und, bereits ab Mittwoch, Jon Watts' jüngste Heldenfilmvariation „Spider-Man: No Way Home“ (Autokino Porz, Cinedom, Cineplex, Rex am Ring, UCI, OV im Cinedom, Cineplex, Metropolis, Rex am Ring und UCI, OmU im Metropolis).
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