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Unsterblich

28. Mai 2015

Lebensverlängernde Leinwandmaßnahmen – Vorspann 06/15

In der Dokumentation „Das dunkle Gen“, die in diesem Monat anläuft, prophezeit ein ethisch anfechtbarer US-Forscher: Künftig wird man durch Injektion jugendlichen Genmaterials einen gealterten Menschen verjüngen können. Was sich auf Erden – unter Vorbehalt – als durchführbar abzeichnet, ist auf der Kinoleinwand längst Realität. Dort verjüngt man sich, indem man den Körper wechselt („17 Again“, „Endlich wieder 18“, „30 über Nacht“), man wird unsterblich, indem man sich ein Elixier zuführt („Der Tod steht ihr gut“) oder indem man schlichtweg untot ist, ob als Zombie, Highlander, Nosferatu oder Elb.

Dabei ist ewiges Leben mitnichten bloß von Vorteil. Das wusste 1987 schon Wim Wenders mit „Der Himmel über Berlin“, in welchem der Tod zur Sehnsucht eines unsterblichen Engels erwächst. Auch in den kommenden Sommermonaten wägt das Kino derlei Überlegungen variantenreich ab. Da lernen wir Adaline kennen („Für immer Adaline“), die seit 70 Jahren 29 Jahre alt ist. Der Gewinn an Lebenszeit zwingt sie zugleich schon bald zu einer unglückseligen Entscheidung: Sie verwehrt sich jeglicher emotionalen Bindung. Der Berührung. Der Freundschaft. Der Liebe. So wandelt sich die Gunst der Unsterblichkeit mitunter auch gerne mal zum Fluch. Ben Kingsley (72) sucht diesen Makel im August zu umgehen, indem er den Körpertausch sucht und in Ryan Reynolds (39) schlüpft („Selfless“). Nur hat sich der alte Mann für seinen Seelen-Switch bedauerlicherweise den Falschen ausgesucht. Oder stellen Sie sich vor, Sie sind ein Vampir. Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie sind ein Vampir und verheiratet. So wie demnächst Tobias Moretti in „Therapie für einen Vampir“. Was, wenn der Tod die Vermählten auf Gedeih und Verderb niemals scheiden will? Da hilft nur noch… der Therapeut. Regisseur Noah Baumbach („Frances Ha“) nähert sich dem Anti-Aging indessen ganz unfantastisch. In seinem Drama „Gefühlt Mitte Zwanzig“ sucht ein Paar Mitte 40 die Verjüngung ganz geerdet in der Freundschaft zu einem ungleich jüngeren Pärchen. Gepfiffen auf Botox, Genforschung und Sci-Fi-Schnickschnack. Am Ende reicht es vielleicht einfach, sich gelegentlich mal wieder bloß jung zu fühlen. Und zum angemessenen Zeitpunkt schlichtweg alt. Denn was fern der 60 noch so alles geht, auch davon erzählt die Leinwand genreübergreifend: Ob in dem amerikanischen Todkrank-but-Feel-Good-Drama „Das Beste kommt zum Schluss“, im „Best Exotic Marigold Hotel“, auf „Wolke 9“, in Senioren-Actionern wie „The Expendables“ und „R.E.D.“ oder aktuell in der Doku „Parcours d’Amour“, in der sich greise Singles ganz lebensnah tänzelnd annähern.

Genres schöpfen Grenzen aus. Es ist erfrischend, wie das Kino ein und denselben Gedanken neu durchspielt. Und wir selbst? Wir verlassen das Kino mitunter mit dem breiten Grinsen eines 15-Jährigen. Ein andermal verwirrt. Inspiriert. Erotisiert. Oder mit der Vorstellung, unsterblich zu sein. Mit einem Lebensgefühl. Für fünf Minuten. Für einen Tag. Für eine Nacht. Und manchmal gar für ewig.

Hartmut Ernst

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