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Mirjam Skal im Gespräch mit Oscar-Preisträger Nicolas Becker
Frank Brenner

Den Ton erlebbar machen

19. November 2021

Soundtrack Cologne 18 in der Fritz Thyssen Stiftung – Foyer 11/21

Freitag, 19. November: Der Soundtrack eines Films ist von essenzieller Bedeutung für dessen Gelingen, da er nicht unerheblich dazu beiträgt, die entsprechende Atmosphäre zu schaffen und auch die Emotionen der Zuschauer zu lenken. Er umfasst nicht nur die von einem eigenen Komponisten geschaffene Filmmusik, sondern auch das nicht zu unterschätzende Sounddesign, die zusammen den Klangteppich eines Films bilden. Für die Soundtrack Cologne, die in diesem Jahr bereits zum 18. Mal in Köln stattfindet, gehören beide Aspekte seit jeher zum Konzept des Festivals, wodurch diesen Aspekten der Filmproduktion eine Bedeutung beigemessen wird, die sie in der breiten Öffentlichkeit bislang leider noch nicht erhält. Eine der sieben Case Studies, die während der Soundtrack Cologne 18 wieder in der Fritz Thyssen Stiftung abgehalten wurden, hatte mit Nicolas Becker einen frisch gebackenen Oscar-Preisträger zu Gast. Der Franzose Becker, der seit rund 30 Jahren als Foley Artist, Komponist und Soundtechniker arbeitet, hatte für Darius Marders „Sound of Metal“ in diesem Jahr die begehrte Goldstatuette erhalten. Der Film handelt von einem jungen Musiker (Riz Ahmed), der sich mit den Folgen seines zunehmenden Hörverlusts auseinandersetzen muss.


Nicolas Becker wurde zu seinem Schaffen befragt, Foto: Frank Brenner

Zusammenarbeit aller Gewerke

Gleich zu Beginn des von Mirjam Skal moderierten Podiumsgesprächs erläuterte Nicolas Becker, dass Marders Wahl u.a. auf ihn gefallen sei, weil er für seinen Film einen Sounddesigner mit breitem Portfolio suchte, der sowohl bereits mit Musik als auch experimentell gearbeitet und auch schon Erfahrungen im Dokumentarfilmbereich gesammelt hatte. All das traf auf Becker zu, der über gemeinsame Komponisten-Bekannte mit dem Regisseur in Kontakt gekommen war. Gerade bei einem Film wie „Sound of Metal“, bei dem der Ton einen grundlegenden Bestandteil der Geschichte darstellt, war eine frühe Zusammenarbeit aller Gewerke wichtig. Becker hierzu: „Auch die Tonarbeit sollte von Anfang an einbezogen werden. Deswegen habe ich auch schon vor Drehbeginn das Drehbuch zu Lesen bekommen, damit auch ich mir schon Gedanken dazu machen konnte.“ Genauso wichtig war Becker später auch die enge Zusammenarbeit mit dem Editor des Films, weil angesichts der Komplexität eines solchen Films Teamarbeit obligatorisch sei. Um die kreative Vision des Films auf allen Ebenen umzusetzen, gab es auch einen intensiven Dialog mit dem Director of Photography, in dessen Bildsprache später die immersiven Töne integriert werden konnten. Dazu hatte sich Becker eine kleine Ton-Bibliothek mit Soundsamples angelegt, die einige authentische Geräusche von Hauptdarsteller Riz Ahmed umfassten. Dazu gehörten Aufnahmen seiner Atemgeräusche, aber auch der Klang seines Herzschlags, der von einem Kontaktmikrofon eingefangen worden war. Selbst in Ahmeds Mund hatte man ein kleines Mikrofon platziert, das Geräusche aus dem Inneren des Hauptdarstellers einfing. Mit Hilfe dieser Sound-Bibliothek stattete Nicolas Becker dann Szenen aus, in denen das Gehör des Protagonisten schon dermaßen eingeschränkt ist, dass er fast nur noch Geräusche aus sich selbst heraus wahrnehmen kann, insbesondere deswegen, weil sie für ihn am eigenen Körper auch physisch spürbar sind. Für Becker liegen Hören und Fühlen ohnehin sehr dicht beisammen, und durch die Erfahrung eines jeden Einzelnen, beim Sprechen seine Stimme im Körper zu spüren, entstand für ihn und den Film auch ein ganz natürlicher Identifikationspunkt.


Becker gab Einblicke ins Sounddesign, Foto: Frank Brenner

Überforderung spürbar machen

Weitere Elemente des komplexen Sounddesigns von „Sound of Metal“ setzte Nicolas Becker aus ganz alltäglichen Geräuschen zusammen, die er mit besonders sensiblen Mikrofonen aufgenommen und anschließend künstlich verstärkt und verändert hatte. Becker war dieser authentischere Zugang wichtig, denn „Realität ist viel komplexer und interessanter als die menschliche Vorstellungskraft. Deswegen habe ich für den Film Geräusche kreiert, die real sind, die man im Alltag aber kaum wahrnehmen würde.“ Nicht nur seine Oscar-Auszeichnung zeugt davon, dass dieses Konzept aufging. In Frankreich hat Becker den Film schon mehrfach vor tauben Menschen vorgeführt, die mit Hilfe von Cochlea-Implantaten wieder in der Lage sind, akustische Signale zu verarbeiten. Insbesondere die Szene, in der auch Riz Ahmed im Film ein solches Cochlea-Implantat angepasst wird, stieß dabei auf Begeisterung. Viele der tauben Menschen haben den Film daraufhin ihren Freunden und Verwandten gezeigt, damit diese eine Ahnung davon bekommen, was sie mit Hilfe dieses Apparates tatsächlich wahrnehmen. Auch für normal hörende Zuschauer stellt diese Szene eine Herausforderung dar, weil die Toninformationen auf alle möglichen Kanäle verteilt wurden und nun aus den unterschiedlichsten Richtungen auf das Publikum prasseln, was die daraus resultierende Überforderung und Alarmbereitschaft des Protagonisten in den Kinosaal überträgt. Dass es Becker liebt, über seinen Beruf zu sprechen, merkte man seinem Auftritt in Köln an. In den Filmschulen von London und Paris ist er deswegen auch als Dozent tätig, um seine praktischen Erfahrungen an eine neue Generation weiterzugeben. Im Rahmen der Soundtrack Cologne 18 kann man „Sound of Metal“ am Samstag, 20. November, um 22.30 Uhr in der Filmpalette in der Originalversion sehen.

Frank Brenner

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