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„Das Versprechen"
Foto: © Meyer Originals

Schuld und Wahn

29. Januar 2015

Heinz Simon Keller inszeniert Dürrenmatts „Das Versprechen“ – Auftritt 02/15

Die Welt ist nirgendwo geordneter als im Kriminalroman. Da können sich die Leichen stapeln, das Blut literweise über die Seiten fließen, die Ordnung von Gesetz und Verbrechen bleibt unverrückbar; und ohne die deduktiv-rationale Logik der Aufklärung, wer am Ende der Bösewicht ist und worin sein Motiv liegt, geht es selten ab. Krimis lassen die Realität berechenbar und beherrschbar erscheinen. Friedrich Dürrenmatts Roman „Das Versprechen“ inszeniert einen Fall, der sich diesem Zugriff verweigert, ihn sogar schuldhaft auflädt. Im Theater der Keller zeichnet das Opfer des Verbrechens, das Mädchen Johanna (Trixi Janson) ihre Körperumrisse auf den Boden und legt sich als Leiche im weißen Kleid auf die Bretter, die den Krimi bedeuten. Sorgen muss man sich keine machen. Der ermittelnde Kommissar Matthäi trägt bei Gerhard Roiß die Züge eines besonnenen, nachdenklichen Ermittlers, der alles im Griff zu haben scheint. In seinem braunen Anzug und Hosenträgern wirkt er etwas bieder, aber auch desinteressiert: Es ist sein letzter Arbeitstag, er soll nach Jordanien wechseln, um dort einen Polizeiapparat aufzubauen. Die Drecksarbeit übernimmt sein Assi Henzi (Jonas Müller-Liljeström), ein schlankes Energiebündel mit Hang zur Schärfe, der den Landstreicher van Gunten (Frank Casali) als willkommenes Täteropfer drangsaliert. Er verhört ihn stundenlang, zieht ihn bis auf die Unterwäsche aus, kontert jede Unschuldsbeteuerung mit rational-analytischen Gegenargumenten. Matthäis Beschwichtigung, van Gunten werde nur als Zeuge gebraucht, entpuppt sich bald als Lüge.

Dürrenmatts Roman erfreut sich bei Regisseuren zwischen Hamburg, Luzern, Göttingen und Zürich seit einigen Jahren einer erstaunlichen Zuneigung. Auch weil offenbar die Erben den Bearbeitern kaum Auflagen machen. In Köln haben Regisseur Heinz Simon Keller und Dramaturg Guido Rademachers den Plot komplett ausgedünnt. Die erzählende Rahmenhandlung, die Eltern Johannas, Matthäis Zusammenleben mit der Prostituierten Heller – alles gestrichen. Der Abend konzentriert sich ganz auf die Erzeugung einer unheimlichen Atmosphäre als Gegenwelt des Rationalen und das Psychogramm des Kommissars. Nebel wabert vor der Waldtapete, die Musik von Frank Schulte lässt keinen leise-bedrohlichen Klangeffekt aus, vor allem aber der Chor der drei jungen Frauen (Rosana Cleve, Lena Gudrian, Raphaela Kiczka) sorgt für eine bedrohliche Atmosphäre. Sie artikulieren die Gedanken der ermordeten Mädchen, auch deren Faszination angesichts des Mörders, raunen mysteriös, geben sich als wilde Mänaden, dann wieder fliehen sie erschrocken vor den Ermittlungsbeamten. Ihre Texte, die nicht von Dürrenmatt, sondern von der Kölner Autorin Marie T. Martin stammen, unterminieren systematisch die deduktive Vernunft der Ermittlung.

Als van Gunten schließlich die Tat gesteht und sich umbringt, scheint das Verbrechen gelöst. Doch jetzt erst macht sich Matthäi auf die Suche nach dem wahren Täter. Schuld gebiert den Wahn. Matthäi benutzt die Tochter der Prostituierten Heller als Köder und zieht der kleinen Annemarie (Trixi Janson in einer Doppelrolle) das weiße Kleid Johannas über. Es schwingt durchaus ein pädophiles Moment in der Verfügungsgewalt von Männern über das Mädchen mit, ob der Mann nun ein Mörder oder ein Kommissar ist. Während Annemarie auf der Schaukel sitzt, verbohrt sich Matthäi immer tiefer in den Fall. Die Regie inszeniert das in lähmenden Wiederholungen. Als Annemarie einmal kurz vom Täter angesprochen wurde, aber Matthäi nicht davon erzählen will, brüllt er sie völlig unbeherrscht an. Die Manie der Ermittlungslogik ergreift von ihm immer stärker Besitz. Am Ende bleibt der Täter aus: Er kommt auf dem Weg zum Mord an Annemarie bei einem Autounfall ums Leben. Doch Matthäi weiß davon nichts und hockt, wahnsinnig geworden an seiner eigenen Vernunft, einfach nur noch wartend da. Ein (etwas zu) kurzer, nichtsdestotrotz so verstörender wie berührender Abend.

„Das Versprechen“ | R: Heinz Simon Keller | 4.2., 7.2., 8.2. je 18 Uhr, 9.2., 11.2., 20.2., 27.2., 29.2. je 20 Uhr | Theater der Keller | 0221 27 22 09 90

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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