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„Frank Zappa – Eat that Question“

Obszöner Familienfilm

15. Dezember 2016

Thorsten Schütte zeigt „Frank Zappa – Eat that Question“ im Odeon – Foyer 12/16

Dieser Film macht gleich zu Beginn klar, aus welchem Material er besteht: Wir sehen Frank Zappa in einer Interviewsituation, die Kamera läuft, das Vorgeplänkel zwischen Journalist und Musiker ist zu hören. Zappa wird aufgefordert, einen Satz exakt nachzusprechen – worüber sich der Star erst mal lustig macht.

Die Liste der Archive ist lang, aus denen sich Regisseur Thorsten Schütte für „Frank Zappa – Eat that Question“ bedienen konnte. Neben Privataufnahmen und Konzertmitschnitten ist eben auch unbekanntes TV–Material dabei. Das zeigt Zappa in der Rolle des Gefilmten, der diese Situation selbst hinterfragt. Seine Kritik trifft die ihm gestellten Fragen ebenso wie auch die Musik-Berichterstattung und das ganze Musikbusiness.

Diese Ausschnitte sprechen für sich durch eine gelungene Montage. Der Regisseur verzichtet vollständig auf einen Kommentar oder gespielte Szenen. Er zeichnet das Bild eines Mannes, der als ungewöhnlicher Außenseiter, als Exot in spießige TV-Formate eingeladen wird und sich dort erklären soll. Einen Widerspruch zwischen Hippie–Ikone und knallhartem Geschäftsmann sehen die Moderatoren, seit er sein eigener Produzent geworden ist. Ein Vorwurf lautet, er nutze seine Beliebtheit bei Hippies aus, um Geld zu verdienen, und gehöre damit zum „Hippie-Establishment“. Darauf Zappa: „I was always a freak, but never a hippie.“

Das Selbstbewusstsein dieses Mannes ist in jeder Szene zu spüren, auch wenn er Vorwürfe der Ausbeutung seiner Angestellten mit finanziellen Argumenten entgegnet. Was halten Sie von Drogen beim Musizieren? – Auf Tour gar nichts, denn wenn einer ausfällt, muss ein Ersatz bezahlt werden. Solche Aussagen überraschen, sie passen nicht so recht in das Bild eines Vertreters der Psychedelic Music der 60er/70er Jahre.


Thomas Schütte im Odeon, Foto: Mario Müller

Die Ambivalenz Zappas fängt Regisseur Thorsten Schütte sehr passend ein, sie wird fast beiläufig erfahrbar: seine populäre Rockmusik mit ihren experimentellen Einschüben einerseits, die wirklich experimentellen Orchester–Kompositionen andererseits, mit denen er in Europa noch erfolgreich durch die Konzertsäle tourt (Vorbilder: Edgar Varèse, Strawinsky, Webern). Die klaren Statements, die klar formulierte politische Meinung gegen den damaligen Mainstream auf der einen Seite, die fast kindisch-obszönen, vulgären Songtexte auf der anderen.

Ein gesellschaftlicher Wandel wird im Film dann deutlich, wenn Zappa im Kampf gegen Altersempfehlungen auf Plattencovern zu sehen ist. Wenn er laut „Zensur!“ ruft in der Diskussion um Textstellen, die heute ohne Frage in den USA allein wegen ihrer sexuellen Anspielungen nicht ohne dicken Aufkleber veröffentlicht würden – wenn überhaupt. Diesen Kampf hat er offenbar verloren.

Genau wie sich dem Zuschauer durch den medienkritischen Blick der Dokumentation aktuelle Querverbindungen beinahe aufdrängen, gilt das auch für die politischen Statements des Stars. Eine Kritik am Establishment ist dabei, ebenso die Beschwerde, dass seine Aussagen ja doch nicht so gedruckt würden.

An dieser Stelle jedoch ist dem Zuschauer eine wirklich kritische Auseinandersetzung kaum möglich. Denn die Kehrseite des Verzichts auf jeden Kommentar liegt auf der Hand: eine klare, differenzierte Aussage über einen ambivalenten Menschen und seine politischen Äußerungen ist rein durch das Mittel der Montage kaum zu erreichen. Auch die Vorwürfe der Ausbeutung gegen Zappa von Seiten seiner Angestellten hört man hier vor allem aus Fragen der Journalisten heraus.

Wie Regisseur Thorsten Schütte im Odeon erzählt, war Gail Zappa, die Witwe und Erbin der Rechte Zappas, berüchtigt für die Strenge, mit der sie mögliche Veröffentlichungen autorisierte. Für diesen Film ist Schütte aber der wichtige Schritt gelungen, das Recht zum Final Cut zu erlangen – nachdem er über Jahre immer wieder nach Amerika reiste, „um Kuchen zu essen“.

„Frank Zappa – Eat that Question“ ist der Film über einen Star, der heute – vielleicht wegen dieser strengen Rechteverwaltung – gerade den Jüngeren nicht mehr viel sagt. Zur fälligen (Wieder-)Entdeckung liefert diese Zusammenstellung von Archivaufnahmen sicher einen wichtigen Beitrag. Eine spannende Erzählung gelingt dem Dokumentarfilm mühelos auch ohne Kommentar. Und er gewinnt natürlich an Nähe zu seiner Hauptfigur.

Bei der Premiere des Films auf dem Sundance Filmfestival – schon für sich eine Auszeichnung für einen deutschen Film – wurde ihm dann bewusst, so Schütte, dass hier Großeltern ihre Enkel mit ins Kino bringen. „Uns ist da wohl unabsichtlich ein Familienfilm gelungen.“ Und das bei den Songtexten – ganz erstaunlich.

Mario Müller

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