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„Das Fest“
Foto: Thilo Beu

Neurosen-Dschungel

25. Juni 2015

„Das Fest“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 07/15

Es gibt Stücke, deren Dramaturgie derart streng, deren Personal derart funktional ist, dass sich ihre Interpretationen nur um Nuancen unterscheiden. Dazu gehört die Theateradaption von Rukov/Vinterbergs Film „Das Fest“. Die Geschichte vom 60. Geburtstag des Patriarchen Helge, dessen Kinder dabei den Missbrauch des Vaters enthüllen, ist in seiner ibsenschen Enthüllungslogik kaum neu zu deuten. Nicht so in Bonn. Regisseur Martin Nimz gelingt eine verblüffende Zuspitzung, indem er die Folgen des Missbrauchs bei den Kindern auf flagrante Weise von Beginn an deutlich macht. Vor allem die Beziehungen zwischen den Kindern, ihren Partnern, aber auch dem Hauspersonal sind völlig oversexed. „Fick dich, fick dich, fick dich“, heißt es als Begrüßung, man küsst sich auf den Mund, geht sich an die Wäsche. Alles in freundschaftlichem Ton mit leichter Ironie durchwirkt und dadurch glaubhaft.

Borderline-Störungen und Neurosen wuchern kräftig. Helene (Sophie Basse) ist tablettensüchtig, Michael (Benjamin Berger) gewalttätig ohne Triebkontrolle, Christian (Benjamin Grüter) schwankt zwischen sarkastischer Kälte und Brutalität. Alle drei saufen bis zum Exzess. Und zwischen ihnen läuft die stumme Schwester Linda, herum, die sich umgebracht hat und als mahnende Wiedergängerin das Spiel bzw. die Rache überhaupt erst in Gang setzt. Der Abend ist mitunter näher bei Tennessee Williams als bei den beiden Begründern der Dogma-Bewegung. Das Arena-Bühnenbild in den Kammerspielen mit einem gewaltigen Konferenztisch, Grünpflanzen und Schaufensterpuppen wird zum Tribunal, bei dem Familie und Business sich merkwürdig überlagern. In der schockierendsten Szene demonstriert Christian an einer Kinderpuppe, was der Vater mit ihm gemacht hat. Bernd Braun spielt den Helge mit einer jovialen Unberührbarkeit, die immer auf den Gegenschlag lauert. Doch man hat es nicht mit einer Freakshow zu tun, sondern mit einer kalten Analyse von Verletzungen, Triebstrukturen, Beziehungslosigkeit, die auch nicht endet, als Helge als Pädophiler entlarvt ist: Das Frühstück am nächsten Morgen zeigt, dass die Kinder ihren Störungen nicht entkommen.

„Das Fest“ | R: Martin Nimz | Theater Bonn Kammerspiele | WA ab 2.10. | 0228 77 80 08

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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