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Kommt meist ohne moralische Reflexe aus: Christian Meyer

Moral auf der Leinwand und hinter der Kamera

27. März 2014

Wie über Sex, Gewalt und andere Moralfragen im Film debattiert wird – Vorspann 04/14

Natürlich, Film hat auch mit Moral zu tun. Ein Film lädt die Moraldebatte gerade wieder besonders auf: Lars von Triers „Nymphomaniac“. Gut, die PR-Abteilung hat es darauf angelegt, aber in der Regel werden in Filmkritiken ja nicht PR-Strategien, Plakate oder Trailer rezensiert, sondern Filme. So sehr die PR „Porno“ schreit, so wenig hat dieser etwas damit zu tun. Umso erstaunlicher, dass die inhaltliche Auseinandersetzung in einer Mischung aus Erregung und Hysterie fast unterzugehen droht. Ist in Action-, Kriegs- oder Horrorfilmen u.ä. die Darstellung von Gewalt an den voyeuristischen Selbstzweck der Darstellung von Sex in Sexfilmen angelegt, spricht man von Gewaltpornos. Bei diesen ist die Diskussion – wenn es denn überhaupt eine gibt – sachlicher. Es gibt anscheinend einen wesentlich besser funktionierenden Reflex gegen die Darstellung expliziter Nacktheit und Sexualität. Die Frage des Kontextes, warum etwas wie gezeigt wird, die Frage nach der Haltung, rückt da gerne mal in den Hintergrund.

Eine Frage der Moral kann sich auch Hinter der Kamera stellen. Jakob Lass hat sich mit seinem Filmteam für seinen ersten Fogma-Film „Love Steaks“ Gedanken dazu gemacht. Fogma nennt er einen Regelkatalog, der sich gegen bestehende Regelkataloge des Filmemachens richtet. Diese Freiheit hat man, wenn man seinen Film selber finanziert. Das machen nicht viele, aber wenn man es macht, kann man auch Regeln gegen Selbstausbeutung am Arbeitsplatz aufstellen. Nicht nur im Sinne eines psychischen und physischen Selbstschutzes wurde nur acht Stunden am Tag gearbeitet. Auch, weil man sich sicher war, dass man im Zustand der totalen Erschöpfung keine guten Ergebnisse liefert. Fogma ist spielerisch an die Dogma-Regeln von Thomas Vinterberg und Lars von Trier angelehnt. Ob von Trier nur acht Stunden am Tag arbeitet und arbeiten lässt, ist nicht bekannt. Zumindest haben die meisten Darsteller nach eigener Aussage immer viel Spaß mit ihm (außer vielleicht Björk und Nicole Kidman).

Eine noch ungewöhnlichere Moralfrage wirft der am 1. Mai in den deutschen Kinos anlaufenden Film „Die Erfindung der Liebe“ auf. Es geht um Tote auf der Leinwand in einem anderen Sinn als bei der Gewaltdebatte: Kurz nach Drehbeginn im Jahr 2011 starb die Hauptdarstellerin Maria Kwiatkowsky. Ein großer Verlust, und für das Filmteam zudem ein Problem. Nach kurzer Schockstarre fand man zu einem neuen Drehbuch, das die tatsächlichen Ereignisse des Todes der Hauptdarstellerin in den Film einbaute. Nun sieht man im Film ein Filmteam, das versucht, den Film mit einem Double fertigzustellen. Im Film sind die echten Aufnahmen mit Kwiatkowsky als Rohmaterial eingebaut. Ein spannender Film im Film, der aber eine moralische Frage aufwirft: Darf man das Filmmaterial mit Mia Kwiatkowsky für einen anderen Film verwenden, als für den, für den sie zugestimmt hat, die Hauptrolle zu übernehmen? Bruce Lee könnte dazu sicher etwas sagen. Für die posthume Verwertung seiner Filmaufnahmen und seines Namens wurde der Begriff „Bruceploitation“ erfunden.

CHRISTIAN MEYER

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