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„One Hour Real“ von Miriam Gossing und Lina Sieckmann
Bild: KFFK

Zwischen Fake News, Bodybuildern und Waldeulen

21. November 2017

Absurdes, Fiktives, Dokumentarisches: Das 11. Kurzfilmfestival Köln – Festival 11/17

Die regionale Reihe „Kölner Fenster“ des Kurzfilmfestivals beginnt im Filmclub 813 mit einem Dokumentarfilm mit extrem langen Einstellungen, der in einem kleinen vergessenen Dorf, „El Manguito“ (Kunsthochschule für Medien, 19 Min), in Cuba spielt, wo es keine Elektrizität gibt. Im anschließenden Talk verrät Regisseurin Laurentia Genske („Am Kölnberg“), dass sie zunächst nur so getan hätten, als würden sie filmen, nur um die Bewohner an den Ton der ratternden Kamera zu gewöhnen, da es hier normalerweise keinen Krach gäbe. Danach folgt eine fiktive, absurde, da niemals stattfindende Fahrt namens „Ein bisschen Paris“ (Internationale Filmschule Köln, 30 Min), die ein wenig an „Warten auf Godot“ erinnert: Vier Menschen treffen sich zu einer Mitfahrgelegenheit nach Paris, aber losgefahren wird nie. Stattdessen wird viel Absurdes getan, gesagt und aus Langeweile alles aufgegessen, was es gibt. Das Publikum lacht stellenweise laut auf. Gefolgt von einem Film-Essay über Bodybuilder in Israel. Titel: „Weil es Mitte März ist“ (KHM, 9 Min). Regisseurin Leri Matehha erklärt beim anschließenden Talk auf der Bühne, sie habe dem Klischee, Juden seien oft eher schmächtig und verkopft, entgegenwirken wollen, indem sie völlig konträr dazu Körpertrainer mit extrem monströsen Muskeln am Strand in Israel begleitete.


Junge Regisseurinnen: Miriam Gossing (l.) und Lina Sieckmann im Filmclub 813
Foto: Rebecca Ramlow

Es folgen animierte Filme über in einem Raum gefangene Prostituierte ohne Beine und Arme namens „Venus“ (von Sae Yun Jung, KHM, 6 Min) sowie der Kurzfilm „One Hour Real“ der KHM-Absolventinnen Miriam Gossing und Lina Sieckmann, der „Real-Life Escape Rooms“ in den Niederlanden aufsuchte und dabei das Phänomen von tatsächlichem Untertauchen als neuem Hobby untersucht. Endlich mal ein Film ohne Menschen, in welchem stattdessen perspektivisch interessant Räume und Möbel zu Protagonisten mutieren. Gleichzeitig stellt das Stück kritische Fragen zu den Themen Überwachung und Realität.

„Die Maler kommen“ (19 Min) ist schließlich ein experimenteller deutsch-russischer Film von Stefan Lampadius, der auf humorvolle Weise skurrile Malermeister mit obskurem russischem Akzent bei ihrer „Arbeit“ begleitet, bei der sie auf weitere leidenschaftliche politisch motivierte Überraschungs-Miteinbrecher treffen. Teils improvisiert. Das Publikum ist amüsiert. Und so überrascht es nicht, dass der zweite Publikumspreis – nach dem choices-Publikumspreis für „Ayny“ Ahmad Saleh – an „Die Maler kommen“ geht. Beide Regisseure haben an der KHM studiert. Den dritten Publikumspreis gewinnt schließlich verdient die absurde steckengebliebene Mitfahrt „Ein bisschen Paris“ von ifs-Student Bünyamin Musullu. Dank der Mitentscheidung des Publikums und der sehr persönlichen Talks auf der Bühne gelingt es dem KFFK, das Publikum aktiv einzubinden und eine intensive Nähe zwischen Filmschaffenden und -schauenden aufzubauen.


„Das KFFK ist politischer geworden“: Festivalleiter Johannes Duncker im Foyer
Foto: Rebecca Ramlow

Das Kölner Fenster verfolgt die Intention, den lokalen Filmnachwuchs zu fördern und als Plattform für den Austausch junger regionaler Filmemacher zu fungieren. So unterschiedlich die Art der filmischen Gattungen ist, so vielfältig ist ihr Inhalt. „Das Festival ist in diesem Jahr deutlich politischer geworden“, sagt Johannes Duncker, der Leiter des Festivals, das nunmehr zum elften Mal stattfand. Rund 100 Filme gab es insgesamt an fünf Tagen für Freunde von Shorts zu bestaunen. Themenschwerpunkte waren diesmal „Fake News“ und digitale Medien. „Man merkt“, so Duncker, „dass sich die Macher tatsächlich Fragen stellten wie: Kann man überhaupt noch die Realität im Film abbilden?“

Es gab Sonderveranstaltungen sowie insgesamt acht Wettbewerbsreihen mit verschiedenen thematischen Schwerpunkten, darunter der Deutsche Wettbewerb, der Wettbewerb „Gegen den Strom“, der sich mit dem Begriff „Heimat“ auseinandersetzt, „Die Regeln des Spiels“, der Traditionen und Konformen filmisch inspiziert, „Der Traum geht weiter“, eine Anspielung auf Martin Luther King und soziale Gerechtigkeit, „Perspektivenwechsel“ sowie „Leben lassen“, der das Thema Tod und die Konfrontation mit ihm untersucht. Darüber hinaus hangelte sich die Reihe „New Aesthetic“ an der Grenze zwischen Kurz-, Netzfilm und Game entlang, und auch ein Virtual-Reality-Wettbewerb fand statt.


„Nachtstück“ von Anne Breymann, Bild: KFFK

Heraus sticht bei der thematisch interessanten Reihe „Leben lassen“ der humoresk-gruselige Animationsfilm „Nachtstück“ (5 Min) von der Berlinerin Anne Breymann, der mit eigens kreierten Tieren, die sich nachts im Wald treffen, um menschliche Spiele zu spielen, und mit genialen Sounds überzeugt. Ferner gibt es in dieser morbide angehauchten Reihe die auf einer wahren Begebenheit beruhende dramatische Geschichte eines Polizisten, der aus Versehen einen angeblichen Angreifer erschießt, der jedoch, wie sich später herausstellt, nur eine Schreckschusswaffe besaß und seinen eigenen Tod provozierte („In Scherben“ von Torben Liebrecht, HFF München, 14 Min). Anschließend die eines angehenden jungen ukrainischen Soldaten, der, kurz bevor er in den Krieg zieht, auf seinen Großvater, einen Veteranen, trifft und in einen Konflikt gerät („The Last Tape“ von Igor Kosenko & Cyprien Clement-Delmas, 12 Min), sowie die eines extrem frustrierten jungen Mannes aus einem Dorf irgendwo in Brandenburg, der das für ihn einzig spannende Event in seinem langweiligen Leben, das Kalb in seinem Stall selbst zu schlachten, dank seines Vaters nicht erleben darf („Kai“ von Friederike Güssefeld, 20 Min).


Das Filmforum fungierte als Hauptspielstätte, Foto: KFFK

Gewinner des Deutschen Wettbewerbs ist das sensible Portrait einer jungen Frau, die hin- und hergerissen zwischen Tradition und Freiheitsdrang ist, namens „Sevince (Wenn man liebt)“ (30 Min) von Süheyla Schwenk. Den zweiten Preis im Deutschen Wettbewerb konnte Sebastian Mez, Regisseur von „Remains from the Desert“ (21 Min), einem Film über ein Flüchtlingstrauma, abstauben – beides Prämierte aus der Reihe „Der Traum geht weiter“.

Fünf Tage lang konnten Kurzfilmfreunde sich in den Sog von echten Filmen auf der Leinwand begeben und in Filmrealitäten eintauchen. Wenn auch nur für kurze Zeit.

Rebecca Ramlow

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