Es ist heiß und stickig auf der Bühne der Kulturen im Arkadas Theater. Die Zuschauer fächern sich mit ihren Programmheften und Magazinen Luft zu. Umso beeindruckender ist die physische Leistung unter diesen Bedingungen, welche die Darsteller der interdisziplinären Vorführung „Enter at your own Risk“ 90 Minuten lang ohne Pause liefern.
Das Projekt ist innerhalb von zwei Wochen entstanden. Das internationale Künstler-Netzwerk ROOTS & ROUTES, das junge Künstler aus mehr als zehn verschiedenen europäischen Ländern miteinander verbindet, führt dafür 50 Schauspieler, Musiker und Tänzer zusammen. Diese stammen unter anderem aus Rumänien, Litauen, Italien, Belgien, Niederlanden und Deutschland.
Die Rahmenhandlung des Stückes beschreibt einen namenlosen Flüchtling, der versucht, illegal nach Europa einzureisen. Er wird dabei von schwarz gekleideten Polizeikräften aufgehalten und schließlich gefangen genommen. Die Bühne ist mit Leinwänden ausgestattet, die immer wieder dynamisch umgebaut werden und kurz darauf ein Video der sogenannten „Tough Luck News“ zeigen: Die beiden Moderatoren Yolenie Delgado und Maurice Moises informieren über das Flüchtlingsproblem in Europa, versichern aber, dass das Problem unter Kontrolle gebracht wurde. Danach entwickelt sich ein Szenario, das einem Alptraum von George Orwell oder Franz Kafka entsprungen sein könnte: Der Flüchtling muss sich einer Gerichtsverhandlung unterziehen, die mehr an eine Game-Show erinnert.
Der nicht allzu subtile, satirische Science Fiction-Anstrich soll die Kritik an einer Flüchtlingspolitik untermauern, die lieber wegsieht, als zu helfen. Angeklagter, Ankläger, Verteidiger und Richter werden von einer überfröhlichen Moderatorin präsentiert. Die verschiedenen Zeugenaussagen setzen sich aus einer Mischung aus Ausdruckstanz, Poesie, Multimedia-Kunst, Gesang und Rap zusammen. Gelegentlich einnehmend, mal verwirrend und dann doch mitreißend, aber immer facettenreich werden diese Performances in die Rahmenerzählung des Showprozesses integriert. Das Stück versucht die verschiedenen Seiten der europäischen Flüchtlingsproblematik einzufangen. Den Hilfesuchenden wird ein Gesicht gegeben und nicht nur eine Nummer innerhalb einer Statistik zugeordnet. So kommentiert das gleich zu Beginn vorgetragene Gedicht „Nothing to Lose/Something to Fight for“: „Numbers don’t tell the whole story“.
Landio Antonio erzählt in seinem Gedicht „Landio’s Poem“ von der Trennung von seiner Familie und seiner beschwerlichen Flüchtlingsreise. Das Soul-Stück „You can’t control me“ trägt zwar keine revolutionären, aber löbliche Ideen in sich und die Sängerinnen Dena Abduhla und Lesili Kwesi Mboukou schmettern heraus, dass sie sich nicht einsperren lässt und fordern eine Öffnung der Grenzen. Der Song „Illusions“ von Onur Oz beinhaltet postmoderne Gedanken von illusorischen Barrieren zwischen Ländern und Kontinenten, die nur in den Köpfen der Menschen existieren und keine Basis in der Realität haben.
Das kann naiv und durch die vielen verschiedenen Tanzperformances auch ziellos wirken. Zumindest lässt sich ein roter Faden finden: Ein Plädoyer für Menschlichkeit und Mitgefühl. Freiheit darf es nicht nur für diejenigen geben, die es sich leisten können. Eine der Abschluss- Erzählungen „My Name is Kwezi“ dreht den Spieß noch einmal um: Leslie Kwezi Mboukou berichtet von ihren Vorfahren, welche die Europäer mit offenen Armen in ihrem Land willkommen hießen, ihnen Essen, Geschenke und sogar Land anboten. Grenzen existierten damals nicht.
Mit der rechten Hand auf dem Herzen soll das Publikum letztendlich über das Schicksal des Flüchtlings entscheiden und das Urteil sprechen. Natürlich ist auch das eine Illusion, denn die Leinwand zeigt vorgefertigte Abstimmungsergebnisse. Dementsprechend bitter fällt das Urteil aus: Der Angeklagte wird zwar freigesprochen, aber dahin zurückgeschickt, wo er hergekommen ist. Ein ironischer Seitenhieb liegt allerdings in diesem Urteil, denn 6 % der Voter möchten mit dem „exotischen Fremden“ schlafen.
Bei der abschließenden Breakdance-Nummer hält es auch die Zuschauer nicht mehr auf den Sitzen und trotz Hitze klatschen und tanzen sie mit. Ein Abend, der für Stimmung im ausverkauften Arkadas Theater sorgt. Die Ernsthaftigkeit und die Komplexität der Grundthematik geht allerdings zu oft unter.
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