„Es ist richtig, dass man seine Schmerzen nicht teilen kann, man verdoppelt sie nur. Aber es liegt ein unermesslicher Trost in dieser Verdoppelung eben. Mein Leid geht aus dem Privaten ins Öffentliche und ist also leichter erträglich…“, schreibt Joseph Roth im März 1929, als er gerade seinen Roman „Hiob“ beendet hatte. Unverkennbar, dass er damit auf sich selbst zielte, unverkennbar aber auch, dass das Buch um den Juden Mendel Singer, dieser „Roman eines einfachen Mannes“ in einer Zeit entstand, als der Strudel der historischen Gewalt das Leben vieler in den Würgegriff nahm: Die Weltwirtschaftskrise, die Zerstörung der Weimarer Demokratie und der Terror der Nationalsozialisten. Zwei Theater dramatisieren jetzt fast gleichzeitig Roths Roman – Raffael Sanchez in Köln und Sandra Strunz in Bonn – und stellen die Frage nach dem, was der Mensch auszuhalten bereit ist.
Der Thoralehrer Mendel Singer und seine Familie wohnen in einem kleinen Schtetl an der russischen Grenze. In ärmlichsten Verhältnissen. Mit seiner Frau Deborah hat er vier Kinder, die Söhne Jonas,Schemarjah und Menuchim sowie die Tochter Mirjam. Mendel Singer nimmt das Leben, wie es kommt; er fühlt sich aufgehoben in seinem Glauben, selbst als die Schicksalsschläge auf ihn niederprasseln. Sein Jüngster, Menuchim, ist ein „Krüppel“, der von allen nur gehänselt wird; Jonas geht freudestrahlend zum zaristischen Militär, Schemarjah wiederum entzieht sich der Armee und wandert nach Amerika aus. Und die Tochter geht mit einem Kosaken ins Bett. Da beschließt Mendel Singer ebenfalls nach Amerika auszuwandern, doch darüber zerbricht die Familie vollends. Seine Ehe ist schon lange ein Trümmerhaufen und Deborah stirbt bald nach der Ankunft. Seine ältesten Söhne kommen im Krieg um, Mirjam wird wahnsinnig und Menuchim musste in Russland zurückbleiben. Erst da verzweifelt Singer an seinem Gott: „Alle Jahre habe ich Gott geliebt, und er hat mich gehasst! Alle Jahre hab‘ ich ihn gefürchtet, jetzt kann er mir nichts mehr machen. Alle Pfeile aus seinem Köcher haben mich schon getroffen. Er kann mich nur noch töten. Aber dazu ist er zu grausam“, sagt er im Buch. Auch wenn der Roman einmal mehr Roths ätzenden Kulturpessimismus, seine Feindschaft gegenüber jeder technologischen Moderne inklusive einer Rückwendung zu einem fast mythischen Judentum illustriert. Auch wenn Sprache und Aufbau von einer stilisiert-klassischen Einfachheit sind; auch wenn der Roman in einem Wunder, besser einem kitschigen Ende ausläuft: Menuchim trifft als weltbekannter Musiker seinen Vater in Amerika wieder, der prompt Gott preist. Es bleibt die bohrende Frage, wie soll man leben in einer Welt der Krieges, des Terrors, der Überwachung, der Ausbeutung? Auf was soll man vertrauen – umso mehr, wenn heute jeder transzendentale Trost wegfällt?
„Hiob“ | R: Raffael Sanchez | Schauspiel Köln | 10.1.(P) 19.30 Uhr | 0221 22 12 84 00
„Hiob“ | R: Sandra Strunz | Theater Bonn | 5.2.(P) 19.30 Uhr | 0228 77 80 08
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