In My Room
Deutschland 2018, Laufzeit: 120 Min., FSK 12
Regie: Ulrich Köhler
Darsteller: Hans Löw, Elena Radonicich, Michael Wittenborn
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Apokalypse – aus der Sicht eines Mannes
Naive Allmachtsfantasie
„In My Room“ von Ulrich Köhler
Thomas Oppermann macht sich im Kanzleramt für eine Ansprache vor der Presse bereit. Die Kamera wird eingestellt, Oppermann setzt an… cut. Oppermann hat seine Rede beendet, die Kamera hetzt zu Wagenknecht, wird eingestellt, Wagenknecht setzt zur Rede an… cut. Das geht noch zwei Mal so. Dann sieht man drei Menschen an einem Schnittplatz, die das Filmmaterial von den Pressekonferenzen sichten... betretenes Schweigen... Was für die Eröffnungsszene von „In My Room“ gilt, gilt auch für den gesamten Film: Es dauert etwas, bis man versteht, was hier gerade vor sich geht: Armin, der Kameramann, hat An- und Ausschalter verwechselt. Armin meint, das könne mal passieren, der Redakteur findet, das darf nicht passieren. Später schnorrt sich Armin Geld für den nächtlichen Clubbesuch. Aber das Aufreißen der Mädchen klappt bei dem Middle Ager nicht mehr so richtig. Als seine Oma im Sterben liegt, fährt er in seine Heimat, nistet sich bei seinem Vater ein, der ihn auch nicht so richtig versteht. Dann will er seine Mutter besuchen, aber die scheint ebenfalls nicht auf ihn gewartet zu haben. Frustriert schläft er in seinem Auto unter einer Brücke ein – vor ihm auf dem Fluss ein Partyschiff, auf der anderen Flussseite feiern ein paar Jugendliche. Armin ist alleine. Als er am nächsten Tag aufwacht, ist er ganz allein. Keiner ist mehr da… nirgendwo.
Ulrich Köhler („Schlafkrankheit“), den man grob zur sogenannten Berliner Schule zählt, hat einen Endzeit-Film gemacht. Nach der Komödie „Toni Erdmann“ von seiner Lebensgefährtin Maren Ade, Thomas Arslans Krimi „Im Schatten“ und seinem Western „Gold“ sowie Valeska Grisebachs „Western“ ist dies abermals ein Genre-Film aus diesem Umfeld, das eigentlich Anti-Genre ist, aber in seinen Alltagsbeschreibungen auch immer mal wieder gerne mit Genre-Elementen spielt. Während „In My Room“ im ersten Drittel der inneren Leere seines von einer Midlife-Krise geschüttelten Protagonisten nachspürt, öffnet sich der Film im Folgenden einer Fantasie der absoluten Freiheit: Was, wenn man alleine wäre? Man sich mit niemandem mehr auseinandersetzen müsste, der einen auf sich selbst zurückwirft. Kein Chef, der die eigene Arbeit kritisiert. Keine jungen Mädchen, die einen zu alt finden. Keine Eltern, die immer noch am eigenen, orientierungslosen Lebenswandel rummeckern, obwohl man doch längst erwachsen ist. Nur eine Welt der unendlichen Möglichkeiten. Armin, wunderbar wandlungsfähig von Hans Löw verkörpert, ist zunächst verstört.
Ulrich Köhler hat großartige Bilder für die Verstörung und die Befreiung durch die Apokalypse gefunden. Da stehen führerlose Autos auf der Straße rum, Tiere sind herrenlos, ein Schiff treibt auf einem Fluss – aber kein Mensch weit und breit. Armin rast erst mal über die leeren Autobahnen, als er einen Sportwagen entdeckt. Wie in einem Computerspiel, steuert er an den liegengebliebenen Autos vorbei. Als er ein Pferd entdeckt, setzt er seine Erkundungstour reitend fort. Doch so weit in die Ferne zieht es ihn gar nicht, bald ist er wieder in seiner Heimat und werkelt an seiner kleinen Welt herum: Baut eine Hütte, bewirtet Felder, entwirft Pläne für die Energieversorgung. Ein Mann verwirklicht seine Träume, ohne auf andere Rücksicht zu nehmen. Perfekt wird sein Glück, als schließlich noch eine wunderschöne junge Frau auftaucht. Aber jetzt gibt es wieder ein Problem: Er muss sich mit ihr auseinandersetzen.
Die Nouvelle-Vague-Regisseurin Agnes Varda hat 1965 einen Film gedreht, der ganz ähnlich funktioniert. „Le bonheur“ – zu deutsch „Das Glück“ – erzählt von einer glücklichen Beziehung. Als der Mann sich in eine zweite Frau verliebt, gibt es nach kurzen Problemen bald eine Lösung: die Liebe zu dritt! Nun hat der Mann beide Frauen gleichzeitig. Der Film zeigt das Geschehen in schönen, fast kitschigen Bildern. Die bitterböse feministische Satire kann man leicht falsch verstehen, daher hat der deutsche Verleih einen Alternativtitel erdacht, der den bissigen Spott mitträgt: „Glück – aus dem Blickwinkel des Mannes“. „In My Room“ funktioniert ganz ähnlich wie „Le bonheur“, und der Titel hilft, diesen Film als Satire auf eine naive Männerfantasie zu lesen.
(Christian Meyer-Pröpstl)
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