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Klaus Theweleit
Foto: Residenz Verlag

Das böse Lachen

30. April 2015

Klaus Theweleit analysiert die Tötungslust und attackiert Kollegen – Textwelten 05/15

Sie lachen. Anders Breivik vollführte wahre Veitstänze während er im Ferienlager vor der Küste Norwegens nacheinander 67 Teenager tötete. Das Lachen findet sich aber auch bei den Angehörigen der Waffen-SS nachdem sie Frauen und Kinder erschossen hatten. Die IS-Milizen enthaupten Journalisten und lachen, auch Donald Rumsfeld lacht, als er auf die Folterungen irakischer Gefangener angesprochen wird. Klaus Theweleit, Kunst- und Medienwissenschaftler, der mit seinem bahnbrechenden Werk der „Männerphantasien“ einen Begriff für die psychische Disposition prägte, die sich hinter der Gewalt der nationalistischen Männerbünde verbirgt, untersucht nun „Das Lachen der Täter: Breivig u.a.“ So der Titel seines neuen Essays, der ein „Psychogramm der Tötungslust“ liefern will, wie er im Untertitel ankündigt.

Die Vorbilder finden sich durchaus im Kino, etwa mit dem lachenden Henry Fonda in „Spiel mir das Lied vom Tod“. In einer anderen, entwaffnend obszönen Form offenbart sich das Lachen in Joshua Oppenheimers Dokumentarfilm „The Act of Killing“, in dem die Mörder indonesischer Gewerkschafter und Intellektueller stolz im Fernsehen von ihren Untaten als folternde Killer erzählen und das Publikum ihnen jubelnd applaudiert. Man findet das Gelächter aber auch bei Jugendbanden, die ihr Opfer auf die ein oder andere Weise gemobbt oder misshandelt haben. Das Lachen löst sich im Moment der Spannung, wenn das Machtgefühl der Täter seinen Gipfel erreicht hat. „Das Gelächter ist das orgiastische Gefühl der Killer. Töten ist das zentrale Mittel dieser Körper zum Erreichen des Spannungsausgleichs. Dieses Ereignis ruft ein Glücksgefühl hervor...“, erklärt Theweleit.

Was sie benötigen, ist ein Raum, in dem sich diese Entladung vollziehen kann. Gewöhnlich spielen sich die Täter als Weltenretter auf. Susan Sontag diagnostizierte schon in ihrem Nachdenken über die Folteraufnahmen aus dem Gefängnis Abu Ghraib im Irak, dass sie den Schutz einer Institution brauchen, damit sie ihre „unbestrafte Unmenschlichkeit“ begehen konnten. Ein Begriff, den schon Günther Anders prägte. Notfalls erfindet man sich eine solche Schutzmacht. Breivig demonstriert diesen Schachzug in seinem Prozess, als er sich zum Nachfahre der Tempelritter erklärt. Er weiß genauso um die verbrecherische Dimension seiner Tat, wie es die SS im Zweiten Weltkrieg oder die IS-Milizen unserer Tage wissen. Deshalb betont Klaus Theweleit, dass sie alle keine Patientenplätze auf der Couch benötigen.

Wer kleine Kinder vor den Augen ihrer Eltern erschießt, wie es die SS in Oradour oder der IS in Damaskus praktiziert, für den darf es keine Entlastung geben. Das ist der Punkt, an dem Theweleit mit voller Breitseite Deutschlands prominentes Wissenschaftsduo Harald Welzer und Sönke Neitzel der „Lüge“ bezichtigt und sie als „Soldaten-Erklärer“ attackiert, weil diese in ihrer Mentalitätsgeschichte „Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben“ das Morden von Zivilisten psychologisch aus der historischen Situation heraus erklären. Verstehen führt für Theweleit zu rasch zum Entschulden der Taten. Welzer und Neitzel werden reagieren müssen, wir können uns auf eine harte Kontroverse gefasst machen, die im Focus der Medien ausgetragen werden wird.

Klaus Theweleit: „Das Lachen der Täter: Breivik u.a. Psychogramm der Tötungslust.“ | Residenz Verlag | 246 S. | 22,90 €

THOMAS LINDEN

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